25|06|2019 "Beim Bart(h)e des Propheten" rufe ich in unsere kleine Runde . . . und ein ebenso einstimmiges wie lautstarkes "Aber hallo!" kommt als Bestätigung zurück.
Es ist früher Nachmittag, wir sitzen im Auto und fahren Heim ins schöne Naheland. Vom rheinhessischen Dörfchen Weinheim aus, das zur Stadt Alzey gehört, sind es quer übers Land bis an die Nahe nur knapp 25 Kilometer, keine große Sache also. Größer, langanhaltender und um etliche Kilometer ausgedehnter ist da (bildlich gesprochen) schon die Überraschung, die wir einige Augenblicke zuvor im Weingut Christopher Barth erleben durften. Das kam unerwartet . . .
Die kleine Hofreite in Alzey-Weinheim. Hier keltert Christopher Barth seine Weine. Foto: Weingut Barth |
Überraschung ist, wenn etwas deinen Erwartungshorizont auf unerwartete Weise durchbricht, durcheinanderwirbelt, verwirrt und auf den Kopf stellt, und genau das erlebten wir bei der Jahrgangsprobe am vergangenen Sonntag im kleinen, nur knapp fünf Hektar umfassenden Weingut des jungen Winzers Christopher Barth im rheinhessischen Hügelland westlich von Alzey. Gelandet waren wir hier durch Gevatter Zufall. Irgendwann in der Vorwoche war bei einem meiner Facebook-Besuche eine Veranstaltungankündigung eines mir unbekannten Weingutes aufgepoppt. Passiert bei mir ständig. Weiterscrollen, weiterscrollen . . . hmmmm . . . stopp! Das der Einladung zur Jahrgangspräsentation beigefügte Foto zeigt was Interessantes. Die Etiketten auf den zwei Weinflaschen sehen ungewöhnlich aus, nicht schlecht! Welches Weingut ist das? Barth? Kenn' ich nicht. Und wo ist das? Ah, Alzey in Rheinhessen. Ist ja gar nicht so weit weg. Wann? Am Sonntag. Hm, da hab' ich noch nichts Spezielles vor. "Neuer Jahrgang. Neue Weine. Neue Flaschen. Neue Etiketten. Und das Ganze im neuen Garten" lautet der Einladungstext zu Veranstaltung. Gibt also viel Neues zu entdecken dort, hm, das macht neugierig. Und da schau her, das Gesicht eines Bekannten taucht in der Teilnehmerliste auf. Winzer Phil Klein, der bei mir an der Nahe "um die Ecke" wohnt und über den ich bereits eine´ Blog-Reportage geschrieben hab', will da auch hin. Na sowas! Sollte ich dann nicht vielleicht auch . . .
Legte 2012 als Quereinsteiger und Autodidakt mit dem Weinmachen los (l.): Christopher Barth. |
Schnell zu Google gewechselt und "Weingut Christopher Barth Alzey" eingetippt. Hm! Da ist die Homepage des Gutes . . . aber ansonsten sind nicht so viele Treffer zu finden. Ok, ist offenbar ein junges, wohl noch nicht so bekanntes Gut. Was lässt sich denn zutage fördern? Aha, ist ein Quereinsteiger der Christopher Barth. Zunächst Informatik studiert, dann in "die Weinbütt gesprungen", als der Onkel verstarb und dessen kleines Gut auf der Kippe stand. Er hilft aus, findet Gefallen am Weinbau, macht eine Winzerlehre (in den rheinhessischen Weingütern Rappenhof und Wittmann) und hängt ein Weinbaustudium in Geisenheim dran. Naturverbunden ist er, die Rebflächen werden biologisch bewirtschaftet, der Betrieb ist Bioland-Mitglied. Will, so heißt es auf der Homepage, "Weine ohne überflüssige Technik" machen. "Im Weinberg arbeiten wir mit der Natur, im Keller wird auf sie vertraut." Aha! Auf der Weinliste am Fuß der Homepage taucht auch ein "Melaphyr Riesling" auf. Interessant. Dieses Vulkangestein gibt's als Rebgrund an der Nahe auch, in Rheinhessen ist es hingegen eher selten zu finden. Unter dem Titel "Handwerk" sind auf der Liste zudem vier Weine aufgeführt, die als "Unikate von besonderer Machart und mit einzigartiger Struktur" beworben werden. Könnten Naturweine sein, möglicherweise auch Orange-Weine?
Here we are! Jahrgangsprobe im Weingut Christopher Barth
Ok, was haben wir also: Quereinsteiger, junger Winzer, junges Weingut, relativ unbekannt. Kleines Weinsortiment (knapp über zehn Weine), darunter möglichweise einige Naturweine. Hmmm, hinfahren? Ja, nein, vielleicht? Ach komm, warum nicht! Probieren wir halt mal was Neues aus. Meine Erwartungshaltung? Gespannt, aber "mit Deckel drauf", ist ja alles noch so jung da. Wir fahren, kommen an, werden im kleinen Garten des Gutes freundlich von Christopher Barth zur Open-Air-Jahrgangspräsentation begrüßt. Mit den Gutsweinen geht die Probe los, drei Weine zu 9 Euro stehen auf der Liste.
"Hm, neun Euro", denke ich so bei mir, "das ist ja schon ne gehörige Hausnummer für nen Einstiegswein, da traut sich aber einer was." Der erste Gutwein kommt ins Glas, eine Cuvée aus Grau- und Weißburgunder vom neuen Jahrgang 2018, und siehe da . . . "Hier traut sich einer was zu Recht!", höre ich mich innerlich ausrufen. Der Wein hat mich sofort am Haken. Die Cuvée aus rund 80 Prozent Grauburgunder (im Edelstahl ausgebaut) und 20 Prozent Weißburgunder aus dem Holzfassausbau zeigt eine fein herausgearbeitete Fruchtaromatik, eine tolle Mundfülle und Tiefe und eine für den trockenen und heißen Jahrgang 2018 erstaunliche Feingliedrigkeit und Frische. Das ist nicht nur "ganz gut gemacht", das ist "richtig gut gemacht"! Neun Euro die Flasche Gutswein? Gekauft! Der zweite Tropfen aus der Gutsweinlinie, der Silvaner 2018, wandert ins Glas. "Ob das jetzt so weiter geht?", murmele ich mir innerlich zu. Oha, es geht! Ein toller Silvaner von rund 30 Jahre alten Rebstöcken. Saftig, getragen von einer schönen Apfel- und dezenten Quittearomatik, durchwirkt von Heu- und Kräuterdüften und einer kristallinen Frische. Das ist definitiv klasse! Die Hitze unter meinem Kessel mit Erwartungshaltung, sie steigt. Da baut sich schon gehörig Dampfdruck auf und der aufgelegte Deckel kommt ins Wackeln.
Auch der Gutswein Riesling trocken 2018 kann sich schmecken lassen, mehr noch aber der spontan vergorene und unfiltriert gefüllte Melaphyr Riesling trocken Jahrgang 2017 aus der Ortsweinkategorie, den Christopher Barth für 13 Euro die Flasche verkauft. Zarte Noten von reifem Apfel, Pfirsich und exotischen Früchten verschränken sich bei diesem Wein aus dem Alzeyer Rotenfels mit einer rauchig-mineralischen Seele und einem vibrierenden Säurespiel zu einem kleinen, aus vulkanischem Melaphyr-Gestein gehauenen Rieslingmonument. Bäm, der Deckel ist davongeflogen.
Nicht minder beeindruckend ist der 2017er Alzeyer Weißburgunder trocken Ortswein (14,50 Euro), der spontan vergoren, im Tonneau 18 Monate ausgebaut und unfiltriert gefüllt wurde. In Duft und Geschmack ist der Weines zwar erkennbar, aber sehr balanciert vom Holzfassausbau geprägt, die Fruchtaromen (Birne, Quitte, Lindenblüte, Zitronengras . . .) dürfen auf einem dünnen, auf Hochglanz polierten Parkett tanzen und tanzen und tanzen.
So, bis hierhin ist unser kleines Verkostungsteam extrem positiv überrascht, aber jetzt, haha, jetzt kommt bestimmt der Umschwung, jetzt geht runter ins tiefe Tal. Auf der Probenliste folgt die Kategorie Handwerk, und hinter der verbergen sich, wie Christopher Barth bestätigt, die Naturweine. Wein naturnah und mit möglichst wenig Hilfsmitteln und Zusatzstoffen zu erzeugen, das ist in der "jungen Weinszene" Trend, aber einer, der mich bislang ziemlich kalt gelassen hat. Zuviel an Gerbstoff, an wuchtiger Breite und gemüsiges Aroma, zuwenig an Säure, Finesse und animierenden Fruchtspiel. Was sich unter dem Begriff Natur- beziehungsweise Orange Wine tummelte, überzeugte mich in der Vergangenheit nur allzu oft nicht. Also, lieber rheinhessischer Jungwinzer aus Alzey-Weinheim, uffpasse, jetzt wird's ernst.
"Keine Vorklärung, keine Anreicherung, keine Entsäuerung, keine Reinzuchthefen, keine Kühlung, keine Schönung, keine Filtration und nur eine minimale bis gar keine Schwefelung", erläutert der quereingestiegene Winzer die Marschrichtung für seine Naturwein-Vinifizierung. Der erste Handwerk-Wein Jahrgang 2018 mit dem Wortspiel-Namen "Zwei Zimmer, Küche, Barth" wandert ins Probierglas. Wir riechen, wir probieren, wir starren uns an, und, und, und . . . sind vom Donner gerührt. Ja, der oxidative Ausbaustil zeigt sich bereits in der Nase, das ist definitiv anders, . . . aber gut. Sehr gut sogar! Der Duft des ungeschwefelt gefüllten Weines erinnert mit seiner leichten Mandelnote, einem Hauch von frischem Sauerteigbrot und Wildkräutern an einen Sherry Fino, am Gaumen präsentiert sich der "Zwei Zimmer, Küche, Barth" dann sehr trocken sowie erfreulich leicht. Neben den nussigen Noten ist ausreichend Platz für ein Spiel feiner Fruchtaromen (Orangenzesten, exotische Gelbfrüchte, Zitrus, schwarze Johannisbeere) und eine angenehme Frische und Feingliedrigkeit durchweht den aus Weißburgunder (60 Prozent) und Sauvignon blanc gekelterten Naturwein. Das lässt sich richtig gut trinken und sofort rattert eine Reihe von Gerichten mit Meeresfrüchten an meinem inneren Auge vorbei, zu dem dieser Wein (kostet 12 Euro die Flasche) "wie Bombe" passen würde.
Jahrgangspräsentation im Weingut Chr. Barth: Kurze Probenliste mit großem Überaschungspotential. |
Handwerk-Wein Nr. 2 ist im Anmasch, ein Rosé. "Aus 100 Prozent Portugieser gemacht", erläutert Christopher Barth beim Einschenken. Was soll ich sagen . . . und wieder gibt's einen auf die Glocke. Von einem mit aufdringlicher Frucht und klebriger Restsüße ausgestatteten Rose'chen zahnloser Machart ist dieser Barth'sche Naturwein Jahrgang 2018 meilenweit entfernt. Dieser Rosé (15 Euro die Flasche) hat Griff und Kante, sein mit kleinen Bratäpfeln, rosa Weinbergspfirsich, Sauerkirsche und Preiselbeere verziertes Kleid umschmiegt einen straffen Körper, der mit Leichtigkeit und Frische über die Zunge tanzt. Und wieder rattert eine ganze Phalanx von Speisen an meinem inneren Auge vorbei, die sich mit Sicherheit hervorragend mit diesem Tropfen kombinieren ließen: Lachs und grüner Spargel, Iberico-Steaks in Tomatensauce, mediterranene Salate, Tortilla und Frittata, Pasta mit Muscheln oder Langostinos, gegrillte Garnelen, Tapas und Pinchos und, und, und . . .
Als Fassprobe vom Jahrgang 2018 schenkt Christopher Barth den Silvaner aus der Handwerk-Linie (18 Euro) ein. Und ja, Ihr erratet es wahrscheinlich schon, auch dieser ist eine Zierde für die Naturwein-Zunft, und ist bereits jetzt in seinem noch jungen Reifestadium von der Grandessa eines großen burgundischen Weißweis umweht. "Erinnert mich von der Statur her an einen Spitzenwein des rheinhessischen Silvaner-Flüsterers Michael Teschke", raunt mir meine Probepartnerin zu. Ich stimme zu.
Der Sauvignon Blanc 2018 für ebenfalls 18 Euro die Flasche bildet den Abschluss der Handwerk-Weinreihe. Muss ich noch viel erläutern? Ihr könnt's euch denken. Auch dieser Naturwein haut uns aus den Socken. Weiße Johannis- und Stachelbeere, Mango und Maracuja umschmeicheln die Nase, am Gaumen vereinen sich die Fruchtnoten mit einem zarten Sherry Fino Touch (Mandeln, Nüsse) und einem griffigen Tanninzug, das ist aller Naturwein-Ehren wert.
Aus die Maus? Ne, nicht ganz. Denn einen Wein hat Quereinsteiger-Winzer Barth auch in Rot. Eine Pinot Noir 2015/2016 Jahrgangscuvée zu 15 Euro das Burgunderfläschen. Neee, willste mir doch jetzt nicht erzählen, dass er auch noch Spätburgunder kann. Doch, kann er! Und zwar einen von ganz eigenständiger Typizität. Das hier ist weder der speckig-rauchige noch ein mit Barrique-Tannin vollgepumpte Typ, aber auch kein blassrotes und mildsüßliches Früchtchen. Das feingliedrige und betörende Duftspiel von roten Früchten, (kleine weiße Erdbeeren, rote Waldbeeren) ist vielmehr verpackt in einen kräftigen, durch feines Tannin gestützten und dunkelroten Körper, der mit extrem viel Schmelz ausgestattetet ist und wie feinstes Samt über die Zuge gleitet. Volltreffer! Wer diesen Spätburgunder nicht mag, der mag einfach keinen Spätburgunder! (Doch ich mutmaße hier mal, dass selbst dieser "Uhhh-Spätburgunder-mag-ich-ja-echt-gar-nicht-gerne"-Weintrinkertypus diesen Barth'schen Pinot Noir lieben wird.)
Überraschung ist, wenn etwas deinen Erwartungshorizont auf unerwartete Weise durchbricht, durcheinanderwirbelt und auf den Kopf stellt. Chapeau, Jungwinzer Barth, diese kleine Weinkollektion ist wahrlich eine reife Leistung, beim Bart(h)e des Propheten!
Fotos: Moderne Topfologie