19|03|2017 Jung müssen sie sein, jung und trinkwillig. Danach gieren Markt und Konsumenten - zumindest das Gros derer. Ist der neue Weinjahrgang frisch den Fässern entschlüpft, dann darf der Jahrgangsvorgänger ruhig Staub ansetzen. Das Rampenlicht gehört den Flaschen mit dem neuen Datum, die Jahrgangsälteren dürfen sich leise in Richtung Bühnenausgang davonmachen. Schleicht euch!
Dass den neuen Gesichtern auf der Bühne Beachtung gebührt - geschenkt! Dass aber - speziell im Weißweinbereich - die reiferen trockenen Weine vielerorts kaum mehr eines Blickes gewürdigt werden, ist, gelinde gesagt, ein Frevel. Einer, mit dem sich die Konsumenten ins eigene Fleisch schneidet, denn sie berauben sich dadurch einer großen, einer spannenden Genussdimension. „In Deutschland ist - überspitzt formuliert - die Ansicht verbreitet: Rotwein sollst Du zur Genusssteigerung lagern, Weißwein aber sofort trinken. Das ist zu 95 Prozent Quatsch!“, sagt Felix Prinz zu Salm-Salm, Önologe und Betriebsleiter des Weingutes Prinz Salm in Wallhausen an der Nahe.
"Lasst eure besten Rieslinge länger in der Flasche reifen!" Felix Prinz zu Salm-Salm
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Ein Quatsch, der mir selbst jüngst wieder beim Probieren einiger Weißweine des hervorragenden Jahrgangs 2015 bewusst wurde. Bei den ersten Jahrgangsproben in Frühjahr zeigten zum Beispiel die trockenen Rieslinge Laubenheimer Karthäuser des Weingutes Tesch (Langenlonsheim) und Niederhäuser Hermannshöhle Magnus des Weingutes Jakob Schneider (Niederhausen) ihr großes Potential, wirkten aber noch kantig, verstrubbelt und verknittert. Jetzt, rund ein Jahr nach der Erstpräsentation, habe ich die Weine erneut verkostet, und nun stehen beide bei weitem gebügelter da. Ihre Gestalt hat sich aufgerichtet und gestrafft, ihr Kleid hat sich geglättet, sitzt passgenauer, die Schuhe sind gewienert und glänzen. Das Reifejahr in der Flasche hat den Rieslingen gut getan, und ich bin mir sicher, da geht noch mehr. In den kommenden Monaten lassen sich noch die Haare richten, ein wenig Maniküre treiben und Manschettenknöpfe aussuchen, und erst Jahre nach der Flaschenfüllung werden Rieslinge wie diese vollständig herausgeputzt dastehen. Und dann? Dann bekommen die Weine erste Fältchen und ihre „dritte Jahreszeit“ beginnt, Altersspuren und Altersnoten (Tertiäraromen) stellen sich ein. Macht sie das schlechter? Mitnichten! „Wein - auch Weißwein - schmeckt alt anders als jung. Nicht besser oder schlechter“, bricht Felix Prinz zu Salm-Salm eine Lanze für eine offene und unvoreingenommene Auseinandersetzung mit gealterten Weißweinen.
„Die Rieslingweine erhalten ihre völlige Entwicklung erst auf dem Lager. Kein Wein erhält sich so lange auf dem Lager, wie der Rieslingwein, Gehalt und Aroma verliert er niemals.“Johannes Metzger - Abhandlung über den „Rheinischen Weinbau“ von 1827
Obwohl selbst erst 35 Jahre alt und damit noch recht jung, hat der Betriebsleiter des ältesten familiengeführten Weingutes in Deutschland ein besonderes Faible für das Alter: sein Steckenpferd sind gereifte Weine - speziell gereifte trockene Rieslinge. Auf deren Spur gebracht wurde er durch Weine, die von seinem Vater in die Schatzkammer des Weingutes im Schlosses Wallhausen eingelagert wurden. Bei gemeinsamen Verkostungen dieser gereiften hochwertigen Weißweine stellte er fest: Die lange Lagerzeit hat die Weine geschmacklich verändert, aber schlechter schmecken sie definitiv nicht. Eine Erfahrung und Erkenntnis, die vor einiger Zeit jeder bei einer besonderen Gelegenheit nachvollziehen konnte. Denn ergänzend zur jüngsten Weinpräsentation des Weingutes Prinz Salm wurde das Weinseminar "Gereifte Weine - Was kann ein Riesling?" angeboten. Moderiert von Felix Prinz zu Salm-Salm, bot das Seminar den Teilnehmern die seltene Gelegenheit, einen Querschnitt der "VDP.Grossen Lagen" und "VDP.Ersten Lagen" des Naheweingutes aus den vergangenen 30 Jahre zu probieren und zu vergleichen. Neun Rieslinge - der jüngste aus dem Jahrgang 2015, der älteste von 1994 - sowie ein Grauburgunder aus dem Jahr 1990 bildeten das Gerüst der vinologischen Zeitreise in die Vergangenheit.
Zehn gereifte Prinz Salm-Weine ab 1990
Den Startpunkt der Verkostung zum „Eichen“ der Geschmacksnerven bildet der erst wenige Monate alte Gutsrieling trocken 2015, ein Wein mit frischer Säure und Frucht, feiner Würze und rassiger Eleganz. Meine Wertung: 84 Parker-Punkte.
Mit dem Grünschiefer Riesling Jahrgang 2013 wird der erste größere Schritt in die Vergangenheit gemacht. Der Wein präsentierte sich geschmacklich wesentlich „breiter aufgestellt“ als der Einstiegsriesling, zu den fruchtigen Aromen (Aprikose, grüner Apfel, Zitrone) gesellt sich ein erster Reife-Touch in Form einer feinen Mandelaromatik. (85 PP.)
Ebenfalls aus dem Jahrgang 2013 stammt der Riesling vom roten Schiefer. Im Vergleich zum Grünschiefer Riesling wirkt der trockene Riesling vom roten Verwitterungsschiefer frischer und rassiger, die Gelbfruchtaromen (Pfirsich, Grapefruit, Ananas) sind noch von keiner Reifenote geküsst. (87 PP.)
Mit einem weiteren Lagenvergleich geht die Reise weiter. Zwei trockene „Große Gewächse“ (nach VDP Statut) werden verkostet, beide aus dem Jahrgang 2012 und beide aus der Magnumflasche ausgeschenkt. Der Felseneck Riesling verrät seine längere Reife nur durch einen zarten Mandelblütenduft in der Nase. Am Gaumen rollt der Riesling ein Breitwandpanorama an Aromen aus (u. a. grüner Apfel, Zitrus, weiße Johannisbeeren, Kräuter, Feuerstein). Säure und Gerbstoffe, die auf der Zunge tanzen, sind sehr gut durch den gereiften und mit Schmelz ausgestatteten Körper gepuffert - ein erster Höhepunkt der Verkostung. (92 PP.)
Das Große Gewächs Jahrgang 2012 aus dem Kirchberg steht seinem Jahrgangsbruder nur unwesentlich nach (91+ PP.). Im Vergleich wirkt der Wein im ersten Moment etwas breiter, doch dann zündet er seinen Turbo und er zeigt Rasse und Biss. Noten von Gelbfrüchten und Limone sowie eine dezente Salbeiwürzigkeit beginnen auf der Zunge zu tanzen, die kalkigen Ursprungsböden schlagen sich ein einer feinen Salzigkeit nieder.
Die vier Säulen der Weinreifewelt: Säure, Zucker, Gerbstoff, Alkohol
Welche Faktoren sind ausschlaggebend für die Lagerfähigkeit eines Weines? Aus Sicht von Felix Prinz zu Salm-Salm legt der Wein – ganz gleich ob rot oder weiß - das Fundament, auf denen seine Reifefähigkeit steht, durch vier inhärente Wesensmerkmale: Säure, Zuckergehalt, Gerbstoffgehalt und Alkohol. Je höher der Wert eines oder mehrere dieser Inhaltsstoffe ist, desto größer ist auch das Potential für die Lagerfähigkeit. Beim Rotwein sind zuvorderst die höheren Werte im Bereich der Tannine und des Alkoholgehaltes bestimmend, während Säure und Zuckergehalt eher niedriger ausfallen. Dort trumpft der Riesling auf, der zwar vom Gerbstoff- und Tanningehalt im Vergleich etwas moderater ausfällt, aber eine äußerst lebendige Säure mitbringt. Weiterer Pluspunkt: Wie weltweit keine andere Rebsorte besitzt der Riesling durch seine exzellente Säurestruktur die Fähigkeit, bis in den edelsüßen Bereich hinein hohe Restzuckergehalte zu integrieren, ohne seine Eleganz, Rasse und geschmackliche Brillianz zu verlieren.Wesentliche externe Faktoren, die Einfluss auf die Höhe und Güte der Inhaltsstoffe nehmen, sind die Witterung während des Jahrgangsverlauf (guter oder schlechter Jahrgang) und weinbauliche Maßnahmen, zuvorderst „die Ertragsreduktion“, so Felix Prinz zu Salm-Salm. „Je mehr der Ertrag reduziert wird, desto mehr konzentrieren sich die Inhaltstoffe in den am Stock verbleibenden Trauben.“
Wie sich eine Ertragsreduktion niederschlägt, dafür sind die beiden nächsten Weine des Seminars ein Musterbeispiel, denn nun folgen zwei weitere „Große Gewächse“, deren Trauben von Weinstöcken stammen, die nur einen Bruchteil der vom Gesetzgeber pro Hektar erlaubten Mostmenge erbringen. Beide Weine stammen aus dem Johannisberg, dem Wallhäuser Paradeweinberg des Gutes Prinz Salm, der eine aus dem Jahrgang 2015, der andere aus 2003.
Der 2015er beeindruckt durch seine deutliche „Primärfrucht“ und rassige Frische, er entwickelt einen ordentlichen Zug am Gaumen und lässt in seinem kraftvollen und muskulösen Körper Zitrusnoten, exotische Früchte, eine feine Würze und den Duft nach Brennnesseln tanzen. Ein klasse Vertreter des hervorragenden Jahrgangs 2015 - locker 93 Parkerpunkte wert.
Zwölf Jahre mehr auf dem Buckel hat der 2003er Johannisberg Großes Gewächs, zudem stammt er aus einem Jahrgang, der extrem warm war und dem nachgesagt wurde, keine Weine mit hoher Lagerfähigkeit hervorbringen zu können. Pustekuchen! Der Riesling steht da wie eine Eins! Im Vergleich zum Lagenbruder aus 2015 ist der Wein gebändigter, weicher, schmelziger. Die Aromatik ist konzentrierter und ruft Assoziationen an süße getrocknete Geldfrüchte, Honig und an weißen Nougat Montélimar, am Gaumen entwickelt eine rauchige Feuersteinnote Druck. „Der Wein ist für meinen Geschmack jetzt genau da, wo er hingehört“, kommentiert Felix Prinz zu Salm-Salm. Finde ich auch – ich spendiere 93 Parker-Punkte!
Und ab geht es in den süßen Bereich. Bei den folgenden zwei Weinen handelt es sich um edelsüße Riesling Auslesen, beide aus dem Johannisberg, die eine aus 2007, die andere aus 1994. Bei der Auslese des Jahrgangs 2007 werden die Fruchtaromen von einer Honignote umschmeichelt, der Wein verfügt über eine tolle Würze und wirkt geschmacklich wie eine restsüße Spätlese. (92 PP.)
Bei der 94er Auslese hat sich die Süße durch die lange Reifezeit noch weiter reduziert, der Wein gleicht geschmacklich einem restsüßen Kabinett. Obwohl zum Zeitpunkt der Verkostung bereits 22 Jahre alt, zeigt der Riesling noch Frische und Spannkraft, zu der eine feine Herbe am Gaumen und Waldbodendüfte in der Nase kontrastieren. (91 PP.)
Ein ungewöhnliches Exemplar der edelsüßen Kategorie steht am Ende der Verkostung, denn dieser Eiswein ist nicht aus Riesling, sondern aus Grauburgunder gekeltert. Eiswein aus einer eher säurearmen Rebsorte, und dann noch 26 Jahre gelagert, kann das gut gehen?
Es kann! Die Farbe des Weines im Glas erinnert an Sherry, er rollt sehr weich und cremig über die Zunge, ist fruchtig und schmeckt primär nach in dunklem Zucker karamellisierter Ananas. Für „nicht Riesling“ gar nicht schlecht, Herr Specht - ich zücke 90 Parker-Punkte.
Gereifte Weine, gereifte Riesling. In den zwei Jahrzehnten nach 1900 war auch in Deutschland Weinreife selbstverständlich. „Die jüngsten Weine, die damals auf den Markt kamen, waren fünf bis zehn Jahre alt“, so Felix Prinz zu Salm-Salm. In den nachfolgenden Jahrzehnten ist diese Tradition und das Bewußtsein für Weinreife Stück für Stück verloren gegangen. Doch wer genau hinschmeckt, dem wird klar: Nicht nur im Bereich der rest- und edelsüßen, sondern auch im Bereich der großen trockenen Rieslingen sind drei, vier, fünf oder mehr Jahre Reifezeit den Weinen extrem zuträglich.
Länger liegen lassen!
Aus dieser Erkenntnis hat Felix Prinz zu Salm-Salm auch Konsequenzen für die Betriebsleitung des Gutes Prinz Salm gezogen. So behält der 35-Jährige einen Teil der Großen Gewächse zurück, um diese Menge erst nach vier bis fünf Jahren in den Verkauf zu bringen. Eine weitere mit dem Jahrgang 2015 eingeführte Maßnahme: die Rieslinge der Klasse „VDP Erste Lage“, so die Rieslinge Dalberger Ritterhölle und Sommerlocher Steinrossel, wurden 2016 nicht in den Verkauf gebraucht, sondern werden erst im April 2017 (und damit sogar später als die „VDP Großen Gewächse“) zum Verkauf freigegeben.Streiter für gereifte Rieslinge: Felix Prinz zu Salm-Salm. |
Plädoyer: Lasst gute und große Rieslinge in der Flasche reifen
„Ich finde, dass wir im Bereich dieser hochwertigen Rieslinge wieder dorthin kommen müssen, wo die namhaften Bordeaux- oder Burgund-Weingüter sind. Dort bringen die Güter ihre großen Weine erst nach einigen Jahren der Fass- und Flaschenreife auf dem Markt“, so Felix Prinz zu Salm-Salm. Je suis d'accord! Deshalb mein Plädoyer: Lasst gute und große Rieslinge reifen - gewährt den Flaschen mehr "Zugelassenheit"!Alle Fotos bis auf Schlossfoto: Moderne Topfologie
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