Ist das bloß Essen oder schon Kunst: Genießer-Menü nach Thomé-Konzept im Bio-Weingut Forster

Winzer Georg Forster von der Nahe.


03|11|2019   Ist das noch Essen oder schon Kunst? Wenn ein Menü-Abend mit der Aufforderung zum Lutschen von Kieselsteinen beginnt, einer der nachfolgenden Gänge ein Wildschwein ins Moorbad schickt und ein anderes in Form und Farbe einen mit Humus und Kieselsteinen durchsetzen Weinbergboden nachahmt, dann ist klar: hier geht es nicht allein um gutes Essen, sondern um mehr. Um eine Idee dahinter, ein spezielles Thema, ein Konzept.

Auf die Teller gebracht wurde genau so ein „konzeptioneller Mehrwert“ jüngst von Bernhard Thomé. Anlässlich des Jubiläums „25 Jahre ökologischer Weinbau“ im Weingut Forster in Rümmelsheim an der Nahe bereitete der „kochende Künstler“ aus Berlin zusammen mit Koch Johannes Emken (Organiced Kitchen Berlin) an zwei Abenden ein mehrgängiges Genießer-Menü zu, das sich in der Ausführung voll und ganz den Bausteinen, Konstanten und Wesensmerkmalen des Forster‘schen Bioweinbaus widmete.

Koch und Künstler Bernhard Thome.
Künstler und Koch Bernhard Thomé.


Bernhard Thomé war Künstler, bevor er sich dem Kochen widmete. An der Kunstakademie in Karlsruhe studiert er beim Informel-Maler Per Kirkeby, entdeckt begleitend aber auch seine Leidenschaft fürs Kochen. Thomé bezeichnet sich als Koch und als Künstler. Nicht verwunderlich also, dass er 2003 mit seiner Küche mitten ins Berliner Galerienviertel in der Heidestraße zieht, um sich dort mit seinem Projekt „Kunst & Kochen“ selbstständig zu machen. Dort entwirft und realisiert er als Catering-Unternehmer für Kunden mit außergewöhnlichen Wünschen themenbezogene Menüs und Büffets.

Serviert zum Wein mitunter auch "aromatisierte" Kieselsteine: Koch und Künstler Bernhard Thomé.
Serviert zum Wein mitunter auch "aromatisierte" Kieselsteine: Koch und Künstler Bernhard Thomé (M.).


Bei der Kunstaktion "Orte-Unorte" kommt jede Speise als Sprühschaum auf die Teller. Für den Neuköllner Opernpreis entwickelt Thomé ein "Lügenbüfett", bei dem sich schwarze Linsen als Kaviar tarnen und die Creme Caramel nicht süß, sondern herzhaft-würzig nach Ziegenkäse und Sellerie schmeckt. Und bei einem Hundezüchter-Verein serviert er den Vierbeinern ein Sterne würdiges Gourmet-Menü, während sich Herrchen und Frauchen mit schlichten Grillwürstchen begnügen mussten.


Genießer-Konzept-Menü rund um den Bioweinbau im Weingut Forster


Ganz so ausgefallene Es(s)kapaden wie ebenjene beim Verein der Hundezüchter brauchten jüngst die Besucher der zwei Menü-Abende im Weingut Forster nicht zu fürchten. Thomé verfolgt bei seiner Arbeit in der Küche einen konzeptuellen Ansatz, er entwirft einen dem Menü übergeordnete Idee und verfolgt diese Gang für Gang bei der Rezept-Entwicklung. Anders als in der Konzeptkunst, bei der Konzept und Idee für die Bedeutung des Kunstwerks Vorrang haben, zählt für Bernhard Thomé beim „Konzeptkochen“ aber auch das Ergebnis, das optisch ebenso wie geschmacklich überzeugen muss.

Winzer Georg Forster mit seinem Rieslingsekt brut.
Begrüßte die Gäste zum Auftakt des Menüs mit einem Riesling Sekt brut: Winzer Georg Forster.


Wie das gelingt, davon konnten sich die Teilnehmer der Menüs im Bioweingut Forster in Rümmelsheim an der Nahe überzeugen. Bernhard Thomé und Winzer Georg Forster kennen sich bereits seit einigen Jahren, so unter anderem durch die Zusammenarbeit beim Weinmenü „6 Köche 6 Winzer“ in den Berliner Ministergärten, bei dem Thomé unter anderem den „Riesling von Kies“ von Georg Forsters als Weinbegleiter einsetzte. Gerne folgte der Berliner deshalb der Einladung der Winzerfamilie, zum Jubiläum „25 Jahre ökologischer Weinbau“ ins Weingut nach Rümmelsheim der Nahe zu kommen. Begleitet wurde er dabei von Johannes Emken, der in Berlin das Bio-Catering-Unternehmen Organiced Kitchen betreibt und für die Umsetzung des von Thomé entworfenen Menüs verantwortlich zeichnete.

Koch Johannes Emken aus Berlin.
Koch Johannes Emken aus Berlin.


Mit Zutaten aus dem direkten Umfeld des Weingutes, so Kräutern und grünen Gewächsen aus den Bio-Weinbergen sowie zwei dort von einem lokalen Jäger geschossenen Wildsäuen, brachten Emken und Thomé ein Menü auf die Teller, das konzeptionell von Bausteinen, Konstanten und Wesensmerkmalen geprägt war, die für den Bioweinbau von Winzerfamilie Forster bedeutend und prägend sind. Begleitend zum fünf Gänge umfassenden Menü plus Amuse-Bouche servierten Margit und Georg Forster mit Unterstützung ihrer Kinder zehn Weine und einen Sekt aus ihrem Sortiment, vom trockenen Riesling des aktuellen Jahrgangs 2018 bis zum edelsüßen Wein aus dem Jahr 2000.

Genießer-Menü im Ecovin Weingut Forster an der Nahe.


Beispiele: Kieselsteine sind prägend für etliche Weinbergsböden im Besitz von Winzerfamilie Forsten. Ausdruck findet das unter anderem im trockenen „Riesling vom Kies“, einem Fixpunkt im Weinsortiment des Ecovin-Weingutes. Mit seinem ungewöhnlichen Amuse-Bouche zum Menü-Auftakt trägt Thomé diese Umstand Rechnung: Serviert wird eine mit etwas Trinkwasser gefüllte Petrischale, in der vier mit mit Aromen belegt kleine Kieselsteine liegen. Die Aufforderung: Die Kieselsteine ablutschen und dazu den servierten „Riesling vom Kies“ Jahrgang 2017 verkosten, um dem Geschmack von Stein und Wein auf der Spur zu kommen.

Variation von Humus und Kiesel gebildet aus Wurzelgemüse und Kartoffel in Kieselstein-Optik, Trüffel-Pilzcreme und Weinbergssprossen.
Variation von Humus und Kiesel gebildet aus Wurzelgemüse und Kartoffel in Kieselstein-Optik, Trüffel-Pilzcreme und Weinbergssprossen.


Beispiel zwei: Dem Erhalt der Vitalität des Bodens kommt im Bioweinanbau eine besonders große Bedeutung zu. Georg Forster hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einem echten Spezialisten in diesem Themenbereich entwickelt. Zudem erzeugt er seit einigen Jahren auch mit großem Aufwand und Leidenschaft seinen eigenen Bio-Humus. Widerspiegelt sich dies in Menü-Gang „Variation von Humus und Kiesel“. Mit einem dunklen (Hu)Mus aus Pilzcreme, in Kieselstein-Form zugeschnittenen Wurzelgemüsen und einer als Kieselstein „getarnten“ Kartoffeln sowie grünen Sprossen und Kräutern ahmt Thomé einen mit Humus durchsetzten steinigen und begrünten Forster‘schen Weinbergboden nach. Nochmals verstärkt wird das Thema Erde und Humus durch den zum Gang gereichten Umami-Tee.

Letztes Beispiel: Beim letzten Gang spielt Bernhard Thomé auf überraschende Weise mit dem Begriff Weinlese. Denn das Dessert ist tatsächlich lesbar. Die einzelnen kleinen Komponenten der Süßspeise sind so auf einer Schieferplatte angeordnet, dass sie in Punktschrift für Blinde (Brailleschrift) das Wort Wein bedeuten. Die Menü-Teilnehmen haben nun also Gelegenheit zur Teilnahme an einer einer genussvollen „Weinlese“.

Koch Johannes Emken richtet ein Dessert an.
Millimeterarbeit: Johannes Emken beim Anrichten in Blindenschrift angeordneten Desserts.


Fazit: Ein ebenso ungewöhnliches wie genuss- und erkenntnisreiches Menü, das in Kombination mit den Forster‘schen Weinen sowie den Erläuterungen von Bernhard Thomé und Winzer Georg Forster rund um ihre Koch- und Winzerkunst mit Sicherheit lange am Gaumen sowie im Gedächtnis haften bleiben wird.


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Das Genießer-Menü inklusive Weinbegleitung im Detail


Vorspiel: Mineralik von Steinen

Serviert werden vier Kieselstein in einer mit etwas Wasser benetzten Petrischale, die mit Aromen belegt sind. Dazu: Riesling vom Kies trocken Jahrgang 2017.

Vier Kieselstein in einer mit etwas Wasser benetzten Petrischale, die mit Aromen belegt sind.


Riesling vom Kies des Weingutes Georg Forster.

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Erster Gang: Exotisches aus G. Forsters Welt

Geboten wird eine dreiteilige Weltreise auf den Spuren des Naturforschers, Ethnologen und Reiseschriftstellers Georg Forster (1754 bis 1794), dem Namensvetter von Winzer Georg Forster.
  • Ein Sauerkraut Borschtsch Blini mit Matjes.
  • Tahitianischer Papagei-Fisch mit Zitrone, Kokos, Tomate und Gurke auf Taro Chip.
  • Süßkartoffel-Praline mit gebeiztem Lamm, Minze und Sesam.
Dazu: Riesling „Seefahrer“ trocken Jahrgang 2018 und Riesling „Georg Forster“ feinherb Jahrgang 2007.

Süßkartoffel-Praline mit gebeiztem Lamm, Minze und Sesam, dazu der Seefahrer Riesling aus dem Weingut Forster.

 
Sauerkraut Borschtsch Blini mit Matjes, dazu ein Riesling feinherb.

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Zweiter Gang: Vitaler Grund und Boden

Eine Variation von Humus und Kiesel gebildet aus Wurzelgemüse und Kartoffel in Kieselstein-Optik, Trüffel-Pilzcreme und Weinbergssprossen sowie einem Umami-Tee. Dazu: „Wüstenwanderer“ Riesling Jahrgang 2017.

ariation von Humus und Kiesel gebildet aus Wurzelgemüse und Kartoffel in Kieselstein-Optik, Trüffel-Pilzcreme und Weinbergssprossen sowie einem Umami-Tee.


Riesling Wüstenwanderer aus dem Bio-Weingut Forster an der Nahe.

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Dritter Gang: Grüner Weinberg 

Ein Winzersalat, der die speziell im Bioweinbau als Rebzeilen-Begrünung genutzten Leguminosen (Hülsenfrüchtler) nutzt. Bohnen- und Erbsenkresse, Erbsenspargel und Vinaigrette von Blütenhonig, schwarze Nuss und Fichtensprossen gesellen sich zu revitalisierten Rosinen und Trauben sowie Tranchen vom Perlhuhn. Dazu: „Himmelsstürmer“ 2018 Blanc de noir Spätburgunder sowie als Überleitung zum Folgegang der edelsüße Riesling „Tigerauge“ Jahrgang 2000.

Himmelstürmer Blanc den Noir zu Perlhuhn mit Trauben und Linsensalat.


Riesling feinherb zu Perlhuhn mit Trauben und Linsensalat.

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Vierter Gang: Wellness Weinberg
  
Serviert wird ein Wildschwein im Moorbad: Zwei Teilstücke vom Wildschwein sowie kleine Kräutersaitlinge stehen in einer Creme von schwarzer Polenta (Polenta aus Buchweizen- oder Esskastanienmehl). Angelegt an die Wildsau ist ein Saubohnen-Ragout. Dazu: Dornfelder Rotwein Jahrgang 2012 und ein Frühburgunder aus dem Barrique Jahrgang 2008.

Dornfelder zu Wildschwein und Kräutersaitlingen mit Creme von schwarzer Polenta und Sauce.


Frühburgunder zu Wildschwein und Kräutersaitlingen mit Creme von schwarzer Polenta und Saubohnen.

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Fünfter Gang: Weinlese für Blinde

In Blindenschrift kommt das Dessert daher. Grünes Apfel-Gel, Mango-Birne-Ragout, Waldbeeren Sorbet, Nußtaler mit schwarzer Nuss, dunkle Schokoladenmousse und Panna Cotta bilden in Brailleschrift das Wort Wein. Dazu: Als Auftakt eine edelsüße Riesling Auslese 2018, dann ein Eiswein Jahrgang 2002. 

Dessert mit Riesling Auslese vom Weingut Forster.


Winzer Johannes Forster beim Anrichten eines Desserts.
Unterstützt die Köche beim Anrichten des Desserts in Brailleschrift: Winzer Johannes Forster.

Nußtaler mit schwarzer Nuss und Eiswein vom Weingut Forster.


Randnotiz

Ach komm, träum weiter!

Wir schreiben das Jahr 1994. Nelson Mandela wird nach dem Ende der Apartheid in Südafrika Präsident, das deutsche Umweltministerium ruft zum ersten Mal Ozonalarm aus und Grunge-Musiker Kurt Cobain stirbt. Und in Rümmelsheim? Dort steht Winzer Georg Forster in seinem kleinen persönlichen Mikrokosmos und beschließt: „Ab sofort mach‘ ich öko!“
„Echt jetzt? Öko? Das willst du machen? Ach komm, träum weiter.“ Georg Forster weiß es heut‘ noch so wie gestern: „Viele Winzerkollegen lächelten nur milde. Und sagten: Mach‘ doch Weinbau so wie immer, das klappt doch." Das will der natur- und heimatverbundere Naheländer aber nicht mehr, trotz der schiefen Blicke und des Kopfschüttels im Umfeld: "Heute ist ‚bio‘ in, aber damals wurde man dafür noch schief angeguckt.“
Und trotzdem: „Der Gedanke, welche Spuren wir in der uns umgebenden Natur, die unsere Lebensgrundlage ist, hinterlassen, hat uns zu diesem Schritt geführt. Und wir sind froh und stolz, dass dies auch unser Sohn Johannes als nachfolgende Generation als genauso elementar und notwendig ansieht und diesen Weg weiter mit uns geht", so Margit Forster.





Seit einem Viertel Jahrhundert bewirtschaften Georg und Margit Forster ihr Weingut an der unteren Nahe inzwischen nach ökologischen Kriterien. Dabei folgen sie der Maxime: „Zum richtigen Zeitpunkt das Falsche unterlassen!“ Das Winzerpaar, das beim Ausbau der Weine seit einigen Jahren von Sohn Johannes unterstützt wird, gibt der Natur im Weinberg und den Weinen im Keller Zeit und Raum, um sich ohne „Chemiekeulen“ und „schnelles Geradebiegen durch Weinbehandlungsmittel“ in aller Ruhe zu entwickeln und zu entfalten.

Die Geschichte des Weingutes geht in ihren Ursprüngen auf das Jahr 1938 zurück. Die Großeltern Josef und Anna Forster günden den Betrieb, wie damals üblich, als landwirtschaftlichen Mischbetrieb. Nach der Spezialisierung auf Weinbau wird die Rebfläche erweitert und die Ernte an eine örtliche Kellerei im Fass verkauft. Georg und Margit Forster wollten mehr. Sie beschließen, mit der Ernte 1988 ihre ersten Weine selbst abzufüllen. Und schon wenige Jahre später steht für beide fest: "Wir machen Biowein!".

So halten es die Forsters seit 1994. Und es bedeutet: "Den Weinbergen Zeit lassen zu wachsen, den Trauben Zeit lassen zu reifen, dem Wein Zeit lassen zu werden – immer beobachten und mit Zuversicht auf die guten Kräfte in der Natur vertrauen." Heute bewirtschaftet die Familie rund 20 Hektar Rebfläche nach den Öko-Richtlinen von Ecovin, dem Bundesverband für ökologischen Weinbau. Und ihrer weiter oben bereits erwähnten Maxime folgend unterlassen sie es zumeist, das Falsche zum richtigen Zeitpunkt zu tun. Mit viel Fingerspitzengefühl und Weinverständnis bringt das Weingut Forster aromatische und feingliedrige Weine in die Flasche, die von ihrer Herkunft von den schiefrigen und kiesigen Böden rund um Rümmelsheim erzählen.

Hätten beim Genießermenü ebenso viel Spaß wie die Gäste: Künstler und Koch Bernhard Thomé und das Winzerpaar Georg und Magrit Forster.
Haben beim Genießermenü ebenso viel Spaß wie die Gäste (v. l.): Künstler und Koch Bernhard Thomé sowie Georg und Magrit Forster.

Alle Fotos: Moderne Topfologie