06|01|2017 Bitter ist das neue Süß! Ok, ok, das ist krass übertrieben, ich weiß. Süße Sachen liebt doch wohl jeder, bittere mögen nur die wenigsten. Aber: Der Geschmack Bitter erlebt momentan eine klitzekleine Renaissance. Die Food-Fotografin, gelernte Köchin und Autorin Ela Rüther hat dem Bitteren jüngst sogar ein ganzes Kochbuch gewidmet, das im August 2016 im AT Verlag erschienen ist. Titel: Bitter - Der vergessene Geschmack. Während Bitterstoffe aus unserem Kulturgemüse fast gänzlich herausgezüchtet wurden, lässt sich auf den Märkten im Süden Europas noch eine Fülle von Bittergemüsen und bitteren Früchten finden. Wer genau hin schmeckt, wird aber auch bei uns überall Bitterstoffe entdecken, die sich beispielsweise in Kaffee und Tee, in Schokolade, Rüben und Rettich, in Spargel und Kohl, Kräutern und Salat verbergen und einen besonderen Beitrag zu einem komplexen Geschmacksbild leisten. Wer sich mit der Bitterkeit in unseren Lebensmitteln und Speisen näher beschäftigen möchte, der findet in Ela Rüthers Buch ein tolles und informatives Kompendium über das etwas vernachlässigte 'Stiefkind' der fünf Geschmäcker - inklusive rund 80 Rezepte, die sich vom Buchkapitel "Bitter für Anfänger" bis zum Kapitel "Bitter für Fortgeschrittene" in der Intensität der Bitternis steigern.
Im Blog möchte ich Euch heute das Rezept für einen Klassiker der „bitteren Küche“ vorstellen - und zwar für Radicchio Lasagne, im Herkunftsland Italien Lasagne al radicchio gerufen. Der Radicchio bringt - ich gebe es zu - einen ordentlichen Wumms an Bitternis mit sich. Auch ich begegne Radicchio zunächst immer mit einem Anflug von Furcht. Wie bitter wird er wohl schmecken? Und werde ich mich dran gewöhnen. Die Antworten lauten: Ja, er schmeckt mal mehr, mal etwas weniger, aber immer deutlich bitter. Und nochmals ja, meine Geschmackspapillen gewöhnen sich daran. Mehr noch! Denn sind erst einmal die ersten Bissen verspeist und meine „Bitter-Empfindungsskala“ ist anhand der Radicchio-Lasagne neu geeicht, dann nimmt mich die besondere und nicht alltägliche Geschmackskombination mehr und mehr ein und entwickelt sogar eine kleine Suchtkomponente. Einmal angefangen, kann ich den nächsten Happen Radicchio Lasagne kaum erwarten.
Geschichteter Genuss: mit Parmesan überbackene Lasagne mit Radicchio Treviso, Béchamel-Sauce und Walnüssen. |
Rezept für Radicchio Lasagne mit Walnüssen
ZUTATEN | 4–6 Personen
Für die Radicchio Lasagne:
- 600 g Radicchio (z. B. Radicchio di Treviso Tardivo, Radicchio Rosso di Treviso Precoce oder Radicchio Rosso di Chioggia)
- 2 Zwiebeln
- 150 g mild geräucherter Speck (Pancetta affumicata)
- 2 EL Olivenöl
- 1 Glas Weißwein (z. B. 150 ml Weiß- oder Grauburgunder, Silvaner)
- 125 g Walnüsse
- 200 g Parmesan (Parmigiano Reggiano oder Grana Padano)
- 2 EL Butter
- ca. 200 g Lasagneblätter (ca. 12 Stück / ohne Vorkochen)
Für die Béchamel-Sauce:
- 1 l Milch
- 60 g Butter
- 50 g Mehl
- Salz & Pfeffer
- Prise Muskatnuss
ZUBEREITUNG | ca. 40 Min. plus 40 Min. Garzeit im Ofen
- Den Radicchio putzen, waschen und in feine Streifen schneiden. Die Zwiebeln und den Speck fein würfeln. Die Speckwürfel in einer großen Pfanne sanft anbraten, dann die in 2 EL Olivenöl und die Zwiebelwürfel dazugeben und glasig dünsten. Die Radicchio-Streifen dazugeben und bei mittlerer Hitze zusammenfallen lassen. Den Weißwein angießen und einköcheln lassen. Die Walnüsse in nicht zu kleine Stücke hacken, in die Pfanne geben und die Hitze ausschalten. Den Backofen auf 180 Grad (Ober-/Unterhitze) vorheizen.
- Für die Béchamel-Sauce die Milch erwärmen. Die Butter in einem Topf zerlassen. Das Mehl durch ein feines Sieb über die Butter stäuben, mit einem Schneebesen beständig einrühren und 2–3 Min. bei schwacher Hitze anschwitzen (dabei nicht bräunen). Den Topf vom Herd nehmen und nach und nach die sehr warme Milch mit dem Schneebesen einrühren. Den Topf zurück auf den Herd stellen und alles unter ständigem Rühren zum Kochen bringen. Nach dem einmaligen Aufkochen Hitze sofort auf eine schwache Stufe reduzieren und solange weiter mit dem Schneebesen rühren, bis die Sauce eindickt - dies dauert ca. 10–12 Min. Dann mit Salz und schwarzem Pfeffer sowie einer Prise Muskatnuss würzen.
- Von der fertigen Béchamel-Sauce einen Kaffeebecher (250 ml) beiseite stellen. Den Parmesan reiben und 150 g davon zusammen mit der restlichen Sauce in den Topf mit dem Radicchio einrühren. Die Form für die Lasagne mit 2 EL Butter ausstreichen und 6 EL der Béchamel-Sauce aus der Tasse auf dem Boden verteilen. Eine Schicht Lasagne-Blätter auflegen. Nun abwechselnd die Radicchio-Käse-Sauce-Mischung aus dem Topf und Lasagne-Blätter in der Form schichten - je nach Formgröße weitere 3–4 Schichten hoch. Dabei die Blätter mit der Hand leicht andrücken. Die letzte Schicht Blätter mit Radicchio-Käse-Sauce-Mischung belegen. Dann die Extra-Tasse Béchamel-Sauce darüber gießen und mit dem restlichen Parmesan (50 g) bestreuen.
- Die Form mit einer Lage Alufolie abdecken und in den Backofen (mittlere Schiene) schieben. Nach 20 Min. die Alufolie entfernen, nach ca. weiteren 20 Min. sollte die Lasagne eine schöne Bräune angenommen haben und servierfertig sein. Guten Appetit!
Eine ganze Reihe von Weinen fallen hier durch die speziellen Vorgaben bereits durchs Raster, so zum Beispiel spritzige und säurebetonte junge Rieslinge oder Sauvignon blanc auf der Weißweinseite und gerbstoffbetonte Nebbiolo, Tempranillo oder Cabernet Sauvignon auf der Rotweinseite. Wo man fündig wird? Im Weiß- und im Rotweinbereich! Ich habe zwei Weine zur Radicchio Lasagne kombiniert, einen roten von der Nahe und einen weißen aus Rheinhessen, und beide haben eine sehr gute Figur zum Essen gemacht.
Die Wucht und Cremigkeit des Weins fangen den Schmelz des Essens ebenso bestens auf wie die Bitternoten des Radicchio, die durch die moderate Weinsäure nicht weiter verstärkt werden. Auch die Aromen des Weines fügen sich mit denen des Essens wie maßgeschneiderte Mosaiksteine zu einem sehr harmonischen Gesamtbild zusammen. In der Nase dominieren reife Williams Birne, Holznoten, etwas Vanille und eine Spur Marzipan, am Gaumen kommen neben Birne und kandierter Aprikose noch Noten von Rosinen und Mandelsplitter sowie eine feine Würze hinzu. Diese Aromatik verschränkt sich exzellent mit jener der Radicchio Lasagne. Deren Bitternoten finden in Birne und süßer Aprikose, Marzipan und Rosine ein anschmiegsames Bett, die reife Birnenfrucht und die feine Holz-, Mandel- und Vanillenote trumpft speziell zusammen mit dem Geschmack der Walnüsse aus der Lasagne groß auf. Der Bernhard‘sche Wolfsheimer Grauer Burgunder vom Kalkstein trocken wirkt, als wäre er für die Radicchio Lasagne gemacht - ein mehr als würdiger Essensbegleiter.
Wein Nummer zwei stammt aus meiner Heimatregion Nahe. Es ist der Spätburgunder Pastorei „S“ trocken Jahrgang 2013 aus dem Weingut St. Meinhard. Über das in Stadtteil Winzenheim von Bad Kreuznach beheimatetet Gut habe ich bereits in meinem Blogbeitrag über Käsespätzle mit geschmelzten Zwiebeln, zu denen ich den Grauburgunder Berg „S“ von Winzer Steffen Meinhard als Essensbegleiter empfahl, berichtet. Dort ist etwas mehr über das Weingut und den Winzer nachzulesen, weshalb ich hier gleich zum Wein „springe“. Die Lagenangabe Pastorei und der „S“ auf dem Etikett des Weines zeigen an, dass dieser Spätburgunder aus dem Jahrgang 2013 zu den Selection-Weinen gehört, darüber rangieren nur noch die Réserve-Weine des Gutes St. Meinhard. Die Wahl eines Spätburgunders zur Radicchio Lasagne drängt sich geradezu auf, denn ein ein Merkmal dieser Rebsorte ist sein im Vergleich zu anderen Rotweinen geringer Anteil an Gerbstoffen und seine schöne Fruchtigkeit, und genau so einen Wein suchten wir ja mit Blick auf die Bitternis des Radicchio.
Der Pastorei Spätburgunder wurde zwar im kleinen Holzfass ausgebaut, hat dort aber nur wenig Tannin und Holzgeschmack aufgenommen. Der Wein (9 Euro die Flasche) duftet nach kleinen Walderdbeeren und Steinpilzen, am Gaumen setzt sich der Geschmack von Erdbeere weiter fort, süße Kirsche, Thymian und Nuancen von Mandel kommen hinzu. Im Abgang wird die Frucht von einer schönen Säure aufgegriffen und in einem langen Nachhall fortgetragen. Durch seine samtige, nicht tanninbetonte Struktur macht der Spätburgunder Pastorei „S“ trocken zur Radicchio Lasagne eine sehr gute Figur. Der Wein bringt ausreichend Körper mit, um dem Schmelz der Lasagne Paroli zu bieten, und zugleich fangen seine Frucht und dezente Süße die Bitternoten des Radichio gut ein. Zudem ergänzen die Thymian, Steinpilz- und Mandelnoten des Weines sehr gut die nussigen und würzigen Aromen der Lasagne mit Walnüssen. Mit dem Pastorei „S“ trocken Jahrgang 2013 schickt Winzer Steffen Meinhard einen vielseitig einsetzbaren Spätburgunder ins Rennen, der sich zu vielen Speisen kombinieren lässt, aber auch solo getrunken ein Genuss ist.
Frisch aus dem Backofen frisch auf den Teller: hausgemachte Radicchio Lasagne. |
Fotos: Moderne Topfologie