Drei Sterne, ein Buch & über 40 Rezepte: »Meine Alpenküche - Rezepte, Geschichten, Produkte« von Sven Wassmer

Meine Alpenküche von Sven Wassmer


11|02|2023   Wenn's läuft, dann läuft's: Vor wenigen Wochen erhielten Sven Wassmer und sein Team den dritten Michelin-Stern, und kurz danach durfte der Küchenchef des Restaurants "Memories" in Bad Ragaz in der Schweiz das Erscheinen seines ersten Kochbuchs feiern. Mit dem im AT Verlag veröffentlichten Buch Meine Alpen - Rezepte, Geschichten und Produkte* bringt der 37 Jahre alte Kochprofi auf den Punkt, was seine mit nunmehr drei Michelin Sternen und 18-Gault-Millau-Punkten ausgezeichnete Küche ausmacht: eine Schweizer Alpine Küche, die Produkten und kulinarischen Traditionen des alpenländischen Raums zu einer in der Region verwurzelten aber hochmodernen Heimatküche transformiert.

Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Spargel mit Erbsensalsa und Bohnenkraut.

Die Alpenküche von Sven Wassmer - Frühlingserwachen, Alpsommer, Herbstblüte und Winterwende in über 40 Rezepten


"Meine Alpenküche" - so lautet schlicht und einfach der Titel des ersten Buches von Sven Wassmer, Küchenchef des mit drei Michelin-Sternen gekrönten Restaurants Memories in der Schweiz. Wem das im AT Verlag publizierten Werk zum ersten Mal ins Auge fällt, wird es wahrscheinlich zunächst gar nicht als Kochbuch identifizieren. Denn das Cover zeigt weder ein fotografisch gekonnt in Szene gesetztes Gericht aus Wassmers Küche noch ein Bild des Kochs selbst. Zu sehen ist stattdessen der Ausschnitt eines Tannenzapfens - grobkörnig und ins Schwarzweiße konvertiert - vertikal links daneben in großen Lettern den Namen des Autors und nur klein darunter am unteren linken Rand der Buchtitel: „Meine Alpenküche - Rezepte, Geschichten und Produkte“.

Das Buch Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Im AT Verlag erschienen: Sven Wassmers Buch "Meine Alpenküche".


Schlägt man das Buch auf und blättert quer, dann wird aber schnell klar: Hier dreht sich alles um eine in der Bergwelt beheimateten Gastronomie – und zwar um eine auf höchstem Niveau. Sven Wassmer präsentiert in seinem ersten Buch seine kulinarische Heimat, seine kulinarische Handschrift und über 40 seiner Rezepte, mit der er im "Memories" drei Michelin-Sterne erkochte. Die Gerichte, die Food-Fotografien von Lukas Lienhard, die Produkt- und Küchenfotos, Landschafts- und Stimmungsbilder rücken lebendig und greifbar das Zentrum von Wassmers Küche ins Bild: die Produkte der Alpen und die Natur mit ihren Ausprägungen und Erzeugnissen im Wechsel der Jahreszeiten. Wer anschließend tiefer in die Lektüre einsteigt, dem wird ebenfalls klar, warum ein Tannenzapfen das Cover eines Kochbuches ziert: Der Zapfen ist Symbol für Wassmers alpine Küche, die sich an typischen Produkten der alpinen Region orientiert.

Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Schlossermatt-Meerrettich mit Alpenkaviar "Oona" und Schnittlauch.


Inhaltlich stellt das 240 Seite starke Buch Sven Wassmers Küche vor, seine Küchenphilosophie, seine Kreativität im Umgang mit Lebensmitteln kulinarische Traditionen der alpenländischen Bergwelt, seine Ansätze und Ankerpunkte bei der Konzeption und Ausgestaltung neuer Teller. Es zeigt, was Heimat für ihn ist, es widmet sich den Spezialitäten des Alpenraumes – vom Tannenzapfen bis zur Bergkartoffel, vom Fleisch der alten Milchkuh bis zum Schweizer Shrimps – und demonstriert in über 40 Rezepten, wie Wassmer seine Vorstellung von einer modernen alpinen Heimatküche auf den Teller bringt.

 
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Meine Alpenküche - Struktur und Inhalt


Wassmer gestaltet und variiert seine Menüs für das "Memories" gemäß den Jahreszeiten. Genauso ist auch der Rezeptteil seines Buches gegliedert. Den Anfang macht ein einleitendes Kapitel, in dem der Koch Gedanken zu seiner Heimat, seiner Interpretation einer Alpenküche und den Rezepten im Buch teilt, am Ende steht ein Kapitel mit Basisrezepten aus den Bereichen Fermentieren, Einlegen, Fonds und Jus, Öle und Patisserie. Diese Basisrezepte spielen bei der Zubereitung der Teller in den vorhergehenden Kapiteln eine Rolle.

Meine Alpenküche von Sven Wassmer
 

Den Hauptteil des Buches bilden vier Rezeptkapitel: Frühlingserwachen, Alpensommer, Herbstblüte und Winterwende. Jedes der Kapitel wird vor dem Rezeptteil mit einem einleitenden Text und Landschafts-, Produkt- und Küchenfotos eröffnet. Es folgen eine Doppelseite mit einer Übersicht aller im Kapitel enthaltenen Rezepten, dann eine Doppelseite mit der Vorstellung von jeweils zwei Lebensmitteln, die für den Spitzenkoch von besonderer Bedeutung sind, so zum Beispiel Rübli und Sauerklee, Bergkartoffel und Tanne.


Rezepte aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer


Im einleitenden Textteil zu den vier Rezeptkapitel kommt jeweils ein anderer für Wassmer wichtiger Bestandteil seiner kulinarischen Handschrift zur Sprache: Zeit, Reduktion, Schönheit und Feuer. Fügt man die Aussagen in der Einleitung des Buches mit denen aus den Kapiteleinleitungen zusammen, ergibt sich ein relativ deutliches Bild der stilbildenden Elemente von Wassmers Küche.

Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer


Die Zeit

"Die Saison gehört in einer naturnahem (Alpen-)Küche zu den wichtigsten Zutaten", so Wassmer. Den Rhythmus der Alpen aufzunehmen, bedeutet aber auch, "das Küchenhandwerk anzupassen". Geboren 1986 in Laufenburg und aufgewachsen im schweizerischen Flachland, hat Sven Wassmer seine kulinarische Heimat in den Alpen gefunden. In Bad Ragaz am Ende des Taminatals und Westrand der Rheinebene im Kanton St. Gallen in der Schweiz zelebriert der 37-Jährige im Restaurant »Memories« eine moderne alpine Küche auf hohem Niveau. Saibling aus der Val Lumnezia, Spargel aus Reichenau, Karotten aus dem Domleschg, Fleisch von alten einheimischen Kühen, Kräuter und Baumtriebe von den Wiesen und Waldflächen des Traminatals – Wassmer arbeitet vorzugsweise mit dem, was der ihn umgebende alpine Raum hergibt.

Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Gepuffter Buchweizen mit Bergkäse und Tanne


"Wir streifen durch die Wälder und Berge und sammeln kraftvolle Produkte der Natur. Ich finde es wichtig, die Umgebung, Natur, Bauern und Produzenten zu verstehen und mit einfließen zu lassen in meine Küche", sagt Wassmer. Sauerklee, Tannenschösslinge und Tannenöl, Arvennadeln, Wiesenkräuter und Alpenkaviar, Pilze, Bergheu, Hanf, alte Kuh und viele weitere regionaltypische Zutaten prägen Wassmers Küche. Davon zeugen im Kochbuch Rezepte wie beispielsweise:

  • Gepuffter Buchweizen mit Bergkäse und Tanne (S. 52)
  • Felchen mit Sauerampfercreme und Meerrettich (S. 100)
  • Knollensellerie mit Arvennadeln und Pouletjus (S. 108)
  • Kartoffelbrezeln mit "Bergfichte" und Zwiebel-Apfel-Marmelade (S. 160)

Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Knollensellerie mit Arvennadeln und Pouletjus


Wassmer schöpft aus dem Produktfundus der alpinen Region, kocht angepasst an den Rhythmus der Natur, also im Wechsel der Jahreszeiten, nutzt aber auch Techniken wie die Fermentation und das Einmachen, um "die Zeit in eine Art Zeitlupe" zu versetzen und mit haltbar gemachten Lebensmitteln für Zeiten wie den Winter vorgesorgt zu haben.


Die Reduktion

"Je länger ich koche, umso mehr lasse ich weg." Eine zentrale Aussage Wassmers, die den strukturellen Kern seiner Rezepte auf den Punkt bringt. Was beim Durchblättern des Buches sofort ins Auge fällt, ist die "Aufgeräumtheit" der Teller. Auf ihnen herrscht nie überbordende Fülle, sondern eine große Konzentration und Klarheit.

Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Corne-de-Gatte-Kartoffeln im Bienenwachs


"Ich will dem Gast die Seele der Produkte öffnen. Ich koche deshalb sehr puristisch und minimalistisch", beschreibt Wassmer seinen Stil, und davon zeugt im Buch so gut wie jedes Rezept, so zum Beispiel:

  • Bergkartoffeln (Corne-de-Gatte) im Bienenwachs (S. 142) – die Wassmer pur nur bestrichen mit ein wenig geklärter Butter und bestreut mit einigen Meersalzflocken serviert.
  • Entrecôte von der alten Kuh mit Püree aus der weißen Lötschtaler Kartoffel (S. 114) – ein auf die drei Komponenten Fleisch, Kartoffelpüree und Sauce reduzierter Teller, der "von der hohen Qualität seiner wenigen Bestandteile lebt, die in der Küche nur so wenig wie nötig weiterverarbeitet werden".
  • Rotkohl mit Lorbeer und Milchhaut (S. 188) – ein Snack, der "meinem Ideal einer Küche, die Wirkung durch Weglassen entfaltet, sehr nahe kommt", so Wassmer.
  • Gebratene Ente mit Preiselbeeren und Bergwacholder (S. 200) – ein Teller, der laut Wassmer von klassischen Wildgerichten inspiriert ist und auf das „absolut Notwendige“ reduziert wurde: Fleisch, Sauce und eine fruchtig-säuerliche Beilage.


Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Entrecôte von der alten Kuh mit Püree aus der Lötschtaler Kartoffel


Getreu dem Motto "So viel wie nötig und so wenig wie möglich" konzentriert Wassmer auf den Geschmack und die Beschaffenheit eines oder einiger weniger Lebensmittel und lässt alles weg, was diesem nicht dient oder davon ablenkt.

"Weniger ist immer mehr, wenn das Wenige von sehr guter Qualität ist."
Sven Wassmer
 
"Indem ich auf das Wesentliche reduziere", so Wassmer, "kann ich vielleicht das Bewusstsein für den Wert eines Lebensmittels wieder schärfen. Das geht nur, wenn man beim Essen nicht zu viel geschmackliche Ablenkung hat, damit man sich auf den Kern eines Gerichtes konzentrieren und ihn wahrnehmen kann."

 
Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Hanfnougat.


Die Schönheit

Dieser Aspekt bezieht sich zuvorderst auf die Art und Weise des Anrichtens eines Tellers, die mit dem Faktor Reduktion ebenso verknüpft ist wie mit dem der Natur. Auch beim Anrichten folgt Wassmer zum einen dem Ansatz, "so viel wie nötig, aber so wenig wie möglich" auf den Teller zu bringen. Zum anderen ist er auf der Suche nach einer natürlichen Ästhetik, die nicht bemüht künstlich wirkt und ein eine Verbindung zu den Lebensmitteln in einem Gericht herstellt. So liegt der geräucherte Saibling mit gebranntem Rahm und Tannenöl, ein Signature Dish des Kochs, nicht zufällig in rautenförmigen Stücken auf dem Teller. "Das ist die natürliche Form des Fisches, die beim Filettieren entsteht." Auch Fleischzuschnitte in Form gleichmäßiger Würfel oder Rechtecke sind bei Wassmer nicht zu finden, denn bei ihm folgen diese stets der natürlichen Form und Beschaffenheit des größeren Stückes, aus dem die Teilstücke geschnitten werden.

Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Rib Eye von der Alten Kuh mit "Tasty Paste".
 

Ein weiterer Aspekt der Tellerhandschrift Wassmers ist das kompakte Anrichten. Während bei so genannten "Avantgardetellern" die verschiedenen Komponenten weitgehend separat voneinander auf der Tellerfläche mit Abstand angerichtet werden, gestaltet Wasser so genannte Aromateller, bei denen die Komponenten verdichtet und mit direkten Berührungspunkten und Überlappungen angerichtet werden. Diese Form des Anrichtens entspricht Wassmers Ansatz der Reduktion und der Konzentration auf den Geschmack und die Beschaffenheit eines oder einiger weniger Lebensmittel, denn das verdichtete Arrangement des Aromatellers stellt weitestgehend sicher, dass mit jedem Löffel bereits eine große Bandbreite oder sogar die gesamte Bandbreite der Tellerkomponenten im Mund landet, so dass die antizipierte Idee des Arrangeurs und der geschmackliche Kern des Gerichtes sofort klar wird. Als Beispiel für diese Form der Schönheit auf dem Teller schaue man sich im Buch zum Beispiel folgende Rezepte an:

  • Spargel mit Erbsensalsa und Bohnenkraut (S. 58)
  • Lauch in der Milchhaut mit Trüffel (S. 66)
  • Rote Beete mit Crumble und Pouletjus (S. 152)
  • Gebratene Ente mit Preiselbeeren und Bergwacholder (S. 200)

Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Gebratene Ente mit Preiselbeeren und Bergwacholder.


Das Feuer

"Wenn es irgendwo brennt, werde ich zum Urmenschen", sagt Wassmer. Flammen haben ihn schon als Kind fasziniert und speziell beim Garen von Fleisch folgt der Koch auch heute noch in vielen Fällen dieser frühen Feuer-Faszination und brät über glühender Holzkohle. Ergänzend nutzt er Feuer und Kohle als Aromalieferant und aromatischen Baustein, so beispielsweise beim Räuchern von Lebensmittel, durch die Zugabe von Holzkohleöl oder durch das starke Erhitzen oder Abflämmen mit glühender Kohle oder dem Bunsenbrenner. 

Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Rehrücken mit Aprikoboshi, Sellerie und Tannenzapfen.


Für das Feuer als Garmethode entscheidet sich Wassmer je nach Fleischart aber auch aus einem produktbezogenen Grund: "Bei manchen Garprozessen werden Fleischfasern in eine unnatürliche Konsistenz zersetzt", so Wassmer. "Kommt Fleisch aber bei hoher Hitze auf das Feuer, zieht die Wärme von außen nach innen in das Stück, und so bleiben die Fasern intakt." Wie Wassmer Feuer, Raucharomen und hohe Hitze einsetzt, zeigen im Buch unter anderem Rezepte wie:

  • Gegrillte Karotte mit gerösteter Gerstenkoji-Creme und Karottengrün-Pesto (S. 102)
  • Rehrücken mit Aprikoboshi, Sellerie und Tannenzapfen (S. 158)
  • Forelle mit geflämmter Gurke und Sauerampfer (S. 64)
  • Geräucherter Saibling mit gebranntem Rahm und Tannenöl (S. 192)

Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Geröstete Gerstenkoji-Creme mit gegrillter Karotte und Karottengrün-Pesto.


Sanddornkosho und Alpendashi: Wassmers Schweizer Alpine Küche mit Weitblick


Nicht im Buch enthalten, aber gut zu den vier einleitenden Rezeptkapitel gepasst hätte ein weiterer erläuternder Textteil, den man beispielsweise Weitblick oder Weltoffenheit hätte überschreiben können. Denn was in einer einer Vielzahl der Rezepte von Wassmer ins Auge springt, sind Rezeptbestandteile wie Koji und Kombucha, Koshu und Dashi. Wassmers Alpine Küche integriert an etlichen Stellen speziell Elemente und Geschmäcker aus der japanischen Küchenkultur. "Eine Idee und ein Gefühl des Verbundenseins mit dem Ort, an dem ich lebe", so beschreibt Wassmer den Ausgangspunkt seiner Arbeit. 

Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Schweizer Wagyu mit Steinpilzen und Garumjus.


Den Ansatz, mit Produkten zu arbeiten, die es in der Heimatregion rund um das Restaurant gibt, teilt Wassmer mit der „Nova Regio“-Küche, nicht aber deren radikale Ausschließlichkeit. Hier wie dort ist die Kulinarik auf verfügbare Lebensmittel im Wechsel der Jahreszeiten konzentriert und auf das Wesentliche reduziert, bei Wassmer aber nicht limitiert. Die Alpine Küche des Spitzenkochs lässt Horizonterweiterungen zu, und so fließen Ideen und Geschmäcker aus Skandinavien und Fernost (und speziell aus Japan) mit in die Gerichte ein. "Meine Kulinarik kennt keine Grenzen. Es ist mir wichtig, die nahe Umgebung mit Weltoffenheit zu verbinden", so der 37-Jährige, der seine Koch-Handschrift als Vereinigung von "Produkten aus der Schweiz mit dem Besten aus aller Welt" beschreibt.
 

"Ich möchte Erinnerungen wecken und neue kreieren."
Sven Wassmer


Eine eurasischen Fusion Food-Küche im landläufigen Sinne folgt aus dieser küchenkulturellen Vernetzung bei Wassmer aber nicht. Er schlägt nie den Weg ein, die Verankerung seiner Gerichte mit der Heimatregion gravierend zu lockern oder gar zu lösen. Die Zutaten aus anderen kulinarischen Welten werden als würzende und aromatisierende Komponenten eingesetzt. Sie agieren nicht auf dem Niveau einer Hauptzutat und werden zudem von Wassmer in etlichen Fällen zu einer "alpenländischen Version" konvertiert. Aus Umeboshi (eingesalzenen Pflaumen), einer klassischen Zutat der japanischen Küche, wird beispielsweise die alpine Variante "Aprikoboshi" mit fermentierten Aprikosen. Yuzukoshi, ein Würzmittel aus Yuzuschale, Salz und Chilipfeffer, wird zu Sanddornkosho transformiert, und die japanische Brühe Dashi übersetzt Wassmer zu einem Alpendashi mit Zutaten wie Bündnerfleisch und Bergheu, Eichenholzschnitzel, Avernnadeln und Saiblingsgarum.

Sanddornkosho

 
Die essbaren Schätze, die Geschmäcker und Düfte der Region bilden bei Wassmer stets klar und deutlich das Zentrum der Gerichte. Ein Zentrum, das zugleich Ankerpunkt für die Konsumenten ist. "Unsere Küche", so Wassmer, "weckt Erinnerungen an die Entdeckungen der Kindheit, an die Natur, an erstaunliche Wahrnehmungen. Sie schafft aber auch unbekannte Verbindungen und damit neue Erinnerungen." Koji und Kombucha, Miso und Shoyu halten Einzug in Wassmers Alpenküche. Diese Komponenten lösen oder ersetzen aber nie das kulinarische Zentrum der Gerichte, das tief in der Natur sowie im Geschmacks- und Erinnerungskosmos der Alpenregion wurzeln. "Jedes Gericht in diesem Buch", so Wassmer, "ist Ausdruck davon, das Essen – wie nichts anders sonst – und das Gefühl geben kann, zu Hause zu sein."

Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Kirschkerneis mit Waldsauerklee und Kaffee-Shoyu.


Fazit: Das Buch "Meine Alpenküche" ist – wie es Wassmer selbst sagt – so etwas wie der abschließende Höhepunkt einer inspirierenden Phase des kreativen Wachstums, der Suche und der Entdeckungen. Es dokumentiert eindrucksvoll, worin diese Suche und Entwicklung letztlich gipfelte: in einer hochklassigen und deutlich von Wassmers Überzeugungen und Handschrift geprägten Schweizer Alpinen Küche.

 

Für "den Hausgebrauch angepasst", aber  . . .

Zu guter Letzt ein paar Sätze zur Zielgruppendefinition: Ja, die Rezepte im Buch Meine Alpenküche* sind allesamt sehr puristisch und bestehen aus einer überschaubaren Zahl an Hauptzutaten. Die verwendeten Techniken sind überwiegend klassisch, die häufige Verwendung von fermentierten Lebensmitteln ist Augenfällig. Von der Reduktion und Klarheit der Wassmer'schen Teller täuschen lassen sollte man sich aber nicht. Die Rezepte entstammen allesamt einer mit inzwischen drei Michelin Sternen dekorierten Profiküche. Sie erfordern zum Teil sehr spezielle Produkte, spezielle Küchengeräte wie Steamer, Kammer-Vakuumierer, Thermomix und Pacojet sowie nicht selten eine lange Vor- oder Zubereitungszeit.

 
Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Rindertatar mit Blumenkohl und Wiesenkräutern.


Wassmer hat, wie er schreibt, die Rezepte zwar „für den Hausgebrauch zum Teil leicht angepasst“. Auch ermutigt er zum Einschlagen anderer Wege, denn „nicht jedes Gericht muss, um ein wohlschmeckendes Ergebnis zu erzielen, genau so und nicht anders“ nachgekocht werden. Und auch andere oder ähnliche Produkte seien für das Gelingen der Gerichte nicht ausgeschlossen. Trotzdem ist Wassmers Alpenküche keine einfache Küche. Nicht jeder Hobbykoch hat beispielsweise Xanthan, Lecithin, Stab 2000 Eisstabilisator, Melitpulver oder Stärke der Kudzu-Wurzelknolle auf Vorrat im Schrank stehen oder weiß, wie er diese Produkte durch andere handelsüblichere Mittel ersetzt. Nicht jeder hat Gerstenkoji zur Hand, um es schnell in ein Gericht zu integrieren, traut sich an die Fermentation mit Kojisporen heran oder weiß, durch welche andere Zutaten Kaffee-Shoyu bei der Zubereitung eines Tellers sinnvollerweise zu ersetzen ist.

Teller aus Meine Alpenküche von Sven Wassmer
Bergheueis mit Joghurtschaum und Cassis.


Die Überschaubarkeit vieler Zutatenlisten sollte zudem nicht darüber hinwegtäuschen, dass hinter vielen Tellern ein hoher zeitlicher Aufwand steckt. Kürbiskernmiso, Saiblingsgarum oder fermentierte Gemüsepaste sind in einem Gericht schnell eingebaut, wenn diese vorbereitet wurden und fertig bereitstehen. Müssen solche „Basiszutaten“, wie Wassmer sie nennt, aber erst fermentiert werden, dann vergehen dafür zumeist mehrere Tage oder Wochen.

Dass es zu keinem der im Buch aufgeführten Rezepte eine Angabe zur Zubereitungszeit gibt, erscheint da schon fast folgerichtig – schließlich hängt die jeweilige tatsächliche Zubereitungszeit in etlichen Fällen davon ab, ob und wie viele der Zutaten aus den Basisrezepten man parat stehen hat oder erst noch vorbereiten muss. Sprich: Das Buch von Sven Wassmer mit seinen Rezepten und Geschichten ist inspirierend – uneingeschränkt für für alle Kochenden zu empfehlen ist es aber nicht. "Meine Alpenküche" ist eine Empfehlung für sehr erfahrene und ambitionierte Hobbyköche und Profis, die sich in Wassmers Art zu kochen „reinfuchsen“ möchten beziehungsweise können und die auch auch keine Scheu haben, kreative Abwandlungen und Eigeninterpretationen der Rezepte umzusetzen.

Das Buch Meine Alpenküche von Sven Wassmer 


Sven Wassmer
ISBN: 978-3-03902-151-2
1. Auflage, 2022
Gebunden - 240 Seiten
Format: 21 cm x 28.5 cm
AT Verlag
Preis: 54 Euro


Zur Person

Zwischen 2003 und 2006 absolvierte Sven Wassmer in Basel seine Kochlehre. Seine anschließenden Wanderjahre führten ihn in verschiedenen Spitzenrestaurants in der Schweiz und im benachbarten Ausland, darunter ins Restaurant Schloss Schauenstein von Andreas Caminada (drei Michelin-Sterne),ins Restaurant Viajante in London und ins in Restaurant Focus im Park Hotel Vitznau unter Leitung von Küchenchef Nenad Mlinarevic. Ende 2014 wurde Wassmer Küchenchef im Restaurant „7132 Silver“ des „Hotel 7132“ im schweizerischen Vals, das 2016 mit einem und 2017 mit zwei Michelin-Sternen ausgezeichnet wurde. 2019 übernahm Wassmer im Grand Resort Bad Ragaz die Position des Culinary Director und damit auch die Konzeption und Leitung des Restaurants Memories, das im Guide Michelin 2022 mit dem dritten Stern sowie ergänzend den "Grünen Stern" für Nachhaltigkeit ausgezeichnet wurde. Von den Gastrokritikern des Gault Millau erhielt das „Memories“ 18 Punkte. Das ebenfalls im Grand Resort befindliche Restaurant „verve by sven“ schmückt sich seit 2021 mit einem Michelin-Stern und aktuell 14 Gault-Millau-Punkten.

Sven Wassmer
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