Ohne Schminke, Schi-Schi und technisches Brimborium: PIRI Naturel - Naturwein von der Nahe

Piri Naturel Naturwein Winzerin Christine Pieroth von der Nahe


13|06|2023   Passt man nicht genau auf, ist man schnell vorbeigefahren an der Betriebsstätte von PIRI Naturel in der kleinen Gemeinde Rümmelsheim-Burg Layen an der Nahe. Der Eingangsbereich zum langgestreckten Hof, an dessen entfernten Ende sich Kelterhalle und Keller des Wingutes befinden, ist unscheinbar, kein großes PIRI-Schild und keine auffällig gestaltete Zufahrt weisen den Weg. Erschwerend hinzu kommt: das weltweit bekannte Schlossgut Diel, das sich direkt gegenüber an den Turm der Ruine der Burg Layen schmiegt, wirkt äußerst anziehend auf die Blicke von Weinfans. Doch davon bitte (heute) nicht ablenken lassen! Ja, mit prunkvollen alten Gutsgebäuden oder einer modernen Weingüter-Architektur mit Beton-, Glas- und Stahlelementen kann PIRI Naturel nicht dienen. Mit dem, was hinter den Mauern des Betriebs von Winzerfamilie Ulrich Pieroth geschieht, erregt Christine Pieroth aber eine Menge Aufmerksamkeit - und zwar im In- und Ausland. Die 31 Jahre alte Winzertochter gilt als Naturwein-Pionierin an der Nahe, und ihre unter dem Label PIRI Naturel vertriebenen Weine sind in Berlin, München und Köln, in London und Paris, in Stockholm, Kopenhagen, Tokio und New York gefragt.
 
Piri Naturel Naturweine von Winzerin Christine Pieroth von der Nahe
Ponderosa, Riesling und Pinot Noir von PIRI Naturel.


„Ich bin selbst immer noch baff, wie sich alles entwickelt hat“, kann es Christine Pieroth immer noch kaum fassen, wie rasant und positiv PIRI Naturel vorangekommen ist. Erst 2020 brachte die junge Winzerin, die seit Kindesbeinen den Spitznamen „Piri“ trägt, ihre ersten Naturweine auf den Markt. Eine sehr kleine Menge, nur 4000 Flaschen. Und heute? Kaum drei Jahre später kann die Winzerin gut sieben Hektar Rebfläche (das entspricht ungefähr der Fläche von zehn Fußballfeldern) rund um ihr Heimatdorf Rümmelsheim-Burg Layen für die Erzeugung ihrer Naturweine nutzen, und die verkaufen sich weltweit wie „warme Semmeln“.


PIRI Naturel: Mit 4 000 Flaschen Naturwein geht's los



Doch der Reihe nach: Ihren Anfang nimmt die Geschichte von PIRI im Jahr 2018. Nach ihren Ausbildungs- und Wanderjahren stehen die Geschwister Christine und Philipp Pieroth bereit, um voll und ganz ins elterliche Weingut Weinheimer Hof einzusteigen. Beide haben ihr Studium in Geisenheim abgeschlossen, Christine im Bereich Weinbau, ihr zwei Jahre älterer Bruder im Fach Internationale Weinwirtschaft. Und beide überraschen ihren Vater Ulrich gleich mit einer "speziellen Idee": Eine neue Weinlinie parallel zu den etablierten Weinen des Weinheimer Hofs soll's sein. Unter neuem Namen, mit neuer Flaschenausstattung und einer neuen Weinstilistik. Innerhalb der Familie wird geredet und diskutiert, Ideen werden entworfen und verworfen. Über drei Jahre wird an Facetten der neuen Weine getüftelt, parallel werden Weinpartien für PIRI Wein, so der Taufname der neuen Linie, reserviert und ausgebaut. Im Frühjahr 2020 ist es dann so weit: PIRI Wein tritt mit einer kleinen Auswahl an Weißweinen an die Öffentlichkeit.

Piri Naturel Naturwein Winzerin Christine Pieroth von der Nahe
Ihre Weißweine lässt Christine Pieroth am liebsten im großen Holzfass auf der Vollhefe reifen.


Individuelle und langlebige Weine mit Charakter, die ihre eigene Geschichte erzählen, so lautet das Ziel der beiden „Piris“, die im Weinberg so viel Naturnähe wie möglich und im Keller so wenig technisches Brimborium wie nötig anstreben. Für „Naturkind“ Christine Pieroth steht zu diesem Zeitpunkt aber bereits fest: sie will weitergehen. „Mich hat seit jeher der Gedanke fasziniert, was passiert, wenn man den Wein möglichst in Ruhe lässt, und zwar von Anfang an.“ Die junge Winzerin möchte Weine machen, die komplett naturbelassen sind. Ihre Weine sollen ohne hochgezüchtete Kellertechnik, ohne Zuckeranreicherung und Entsäuerung, ohne Reinzuchthefen, Schönungsmittel und - wenn es sich anbietet – ohne Filtration und Schwefelung auskommen. Im Weinberg setzt die Rümmelsheimerin auf eine sorgfältige Boden- und Pflanzenpflege mit Anleihen aus der biologischen und biodynamischen Weinanbau, beim Ausbau im Keller lautet das Ziel geringstmögliche Einflussnahme. „In einer Handvoll Holzfässern“ baut sie nach ihrer Vorstellung eine kleine Menge Naturwein aus, der Ende 2020 unter dem Label PIRI Naturel auf den Markt kommt. Es sind nur 4 000 Flaschen Wein, doch mit denen findet „Piri“ in der Naturwein-Szene rasant Anschluss und eine Menge Fans.

„Die meisten PIRI-Naturel-Weine gehen ins Ausland. Ich wünschte mir, sie würden auch mehr hier getrunken.“


Christines Eltern tragen den von ihrer Tochter eingeschlagenen Weg mit. Sie stehen hinter der Umstellung des kompletten Weinguts auf eine ökologische Bewirtschaftung, und auch einzelne Elemente aus dem Naturwein-Ausbau sind im Weinheimer Hofes nichts Neues. So werden im Gut seit alters her alle Weine mit wilden Hefe vergören, und einzelne Weine gelangen nach natürlicher Klärung auch ohne mechanische Filtration in der Flasche. Einer der ersten von Christine in die Flasche gebrachten Naturweine, ein im „Orange Wine“-Stil ausgebauter Silvaner, erntet bei der Erstverkostung durch ihren Vater dann aber doch ein erstauntes „Ui, ui, ui!“ als Reaktion. Über sechs Wochen hatte der Wein während der spontanen Vergärung Kontakt mit den ganzen und zum Teil nicht vom Stielgerüst getrennten Trauben. Die bei Weißweinen sonst eher unübliche Maischegärung verpasst dem ohne Filtration und mit einem Rest Gärhefe abgefüllten Silvaner nicht nur einen intensiven bernsteinfarbenen Farbton, der Naturwein schmeckte auch anders: kraftvoll, wild, wuchtig und vollgepackt mit fruchtigen, aber auch würzig-erdigen, grasig-grünen und feinherben Noten. „Das schmeckt anders, das sieht anders aus, das ist ein anderer Typ Wein“, so Christine Pieroth.

Die Naturweine von Piri Naturel aus Rümmelsheim an der Nahe
Zwei Pét Nat-Perlweine (Abkürzung für Pétillant Naturel - heißt „natürlich perlend“) gehören zur aktuellen PIRI Naturel-Kollektion, ein weißer aus Scheurebe-Trauben von rund 45 Jahre alten Rebstöcken und ein roter aus Dornfelder-Trauben, die ebenfalls von alten Reben stammen. Zu den Stillweinen gehören ein Riesling, ein Weißburgunder von 70 Jahre alten Reben, ein Spätburgunder sowie der Wein „Ponderosa“ – eine Cuvée aus Grau- und Spätburgunder-Trauben (90 zu 10 Prozent), die gemeinsam vergären. „Die Trauben für die Cuvée stammen aus nebeneinanderliegenden Weinbergen, die bei uns familienintern seit jeher den Spitznamen Ponderosa tragen“, so Christine Pieroth.

Low Intervention: So wenig am Wein "herumdoktern" wie möglich


Doch was macht Naturwein „so anders“ . . . und was steckt gedanklich dahinter? Naturwein, da meint man ja zu wissen, was gemeint ist: Wein, der irgendwie nah dran ist an der Natur, der möglichst unverändert aus der Natur in die Flasche kommt, also sozusagen mehr von der Natur gemacht wird und nicht vom Menschen. Stimmt irgendwie . . . nur tendenziell. Denn fest steht: Überlässt man einzig der Natur den Wein, wird Essig draus! Die Natur liefert keinen Wein und macht keinen Wein. Wein ist ein Kunstprodukt, ein Erzeugnis, das sich dem Wissen und Können von Menschen verdankt. Aus der Gleichung „Trauben + Winzer/in-Know how = Wein“ kann der Faktor Mensch nicht gestrichen werden. Nie! Aber – und an dieser Stelle setzt die Naturweinbewegung an – er kann klein gehalten werden. Doch warum sollte es erstrebenswert sein, den Faktor Mensch möglichst raushalten? Weil andersherum betrachtet auch gilt: Überlässt man den Wein einzig dem Menschen, wird eine künstliche und uniforme Kreatur daraus. Eine technisierte Weinproduktion führt zu einer völligen Austauschbarkeit der Massenprodukte. Die Weine schmecken - unabhängig von ihrer Herkunft und dem Jahrgangsverlauf – gleich, denn eine Weinproduktion im industriellen Maßstab ebnet neben Fehltönen und Unebenheiten auch Unterschiede und Charakterzüge ein. Wein wird mit technischen Mitteln in stereotype und auf dem Reißbrett entworfene Geschmackskorridore „hineingezwängt“.

Piri Naturel Riesling Naturwein Winzerin Christine Pieroth von der Nahe


Das genaue Gegenteil ist das Ideal der Naturweinwinzer/innen. Sie hinterfragen derlei Praktiken der modernen und in Teilen industrialisierten Weinproduktion und wenden sich stattdessen den Ursprüngen der Weinkultur zu: dem Ausbau von Weinen ohne hochgezüchtete Kellertechnik, ohne Hilfsstoffe und Schönungsmittel und ohne maximale Einflussnahme durch den Weinerzeuger. „Geringstmögliche Einflussnahme“ lautet die Losung, weshalb Naturweine auch „Low intervention“-Wine genannt werden, ein Begriff, der in der Reihe der Begriffe für Naturwein (Natural Wine; Naturals; Vin Naturel; Naked Wine) (meines Erachtens) am besten beschreibt, welcher konzeptioneller Ansatz hinter diesen Weinen steckt. Der Naturweinbewegung geht es darum, so wenig wie möglich in das Grundprodukt eingreifen, um im Wein das zu erhalten, was bei größerer Manipulation mittels Kellertechnik und Weinchemie verloren ginge: Individualität und Charakter.

 
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Nun also alles geklärt in Sachen Naturwein? Mitnichten! These: Naturweine werden immer ohne Filtration abgefüllt. Ja, meistens, aber so sein muss es nicht. Naturweine sind stets hefetrüb, kommen also mit etwas Gärhefe in der Flasche. Ja, meistens, aber nicht immer! Naturweine werden ohne Schwefelzugabe abgefüllt. Ja, das ist bei etlichen Naturweinen so, aber beileibe nicht bei allen. Warum das alles sein kann, aber nicht muss? Der Begriff Naturwein ist weder geschützt noch gesetzlich geregelt. Ja, es gibt Naturweinvereine, die ihren Mitgliedern Vorgaben für die Weinbereitung machen. Aber einen allgemeingültigen oder gesetzlichen Katalog, der festschreibt, nach welchen Kriterien ein Wein gemacht sein muss, um sich Naturwein nennen zu dürfen, gibt es (bislang) nicht. Was es gibt, ist ein Kriterien-Kanon, dem sich die allermeisten „Low intervention“-Winzer/innen verpflichtet fühlen, und der besagt: Ein Naturwein ist: biologisch oder biodynamisch produziert; spontan vergoren; ungeschönt; unfiltriert; nicht oder nur minimal geschwefelt. Was von diesen Punkten dann aber de facto beim jeweiligen Naturweinwinzer und seinen Weinen zutrifft, das muss man selbst im Detail erfragen.
 



PIRI Naturel: Terroir-Naturweine mit Ecken und Kanten


Fragen wir also Christine Pieroth. „Lebendige Weine von lebendigen Böden – und das ohne Zusätze!“, lautet ihr Credo. Bei der Arbeit im Weinberg legt die Winzerin besonderes Augenmerk auf einen gesunden und vitalen Boden, denn, so die 31-Jährige, „der Boden ist eigentlich das Wichtigste. Nur auf einem Boden mit Leben wachsen starke und widerstandsfähige Pflanzen.“ Alle Weinberge der Familie werden biologisch bewirtschaftet, zur Düngung und Stärkung von Boden und Rebe nutzt sie „ganz nach Gefühl und wie es für mich Sinn macht“ Pflanzenauszüge und Pflanzentees aus dem Katalog des biodynamischen Anbaus. In allen Rebanlagen wächst eine natürliche Begrünung und es findet „wenig bis gar keine“ Bodenbearbeitung statt, um das natürliche Bodengefüge zu erhalten.

Pet-Nat Naturwein von Piri Naturel
Wer hätte das gedacht: So schmeckt auch mir Dornfelder, und Scheurebe fand ich auch nie besser: Die beiden PIRI-Pét Nat Perlweine rot und weiß.


Die Arbeitsleitlinie der Winzerin im Keller lautet: „Möglichst nichts hinzufügen und nichts entfernen!“ Die Standards der Naturweinbereitung setzt sie in den Grundpfeilern konsequent um. Will heißen: „Keine Reinzuchthefen, keine Schönung, keine Filtration und keine Schwefelung, ich mache meinen Naturwein ohne alles“, so die 31-jährige. Andere Ausbau-Parameter passt sie hingegen undogmatisch den jeweiligen physiologischen Eigenschaften des Traubenmaterials an: Maischegärung? Ja, kommt bei einigen ihrer Naturweine zum Einsatz, aber auch nicht bei allen. Maceration Carbonique? Gewiss, auch die in der Naturweinszene gerne genutzte Kohlensäure-Maischung spielt bei „Piri“ (auch bei der Weißweinbereitung) eine Rolle - aber nicht bei jedem Wein. Eine Ausbautechnik ohne Wenn und Aber „durchzupeitschen“, das ist nicht die Sache der Rümmelsheimerin. Stattdessen behält sie die Parameter des jeweiligen Jahrgangs und Traubenmaterial im Blick und passt den Ausbau differenziert an: Maischegärung im Stil eines Orange Wine (wie beim PIRI Silvaner), Maceration Carbonique (wie beim PIRI Weißburgunder), eine Mischform aus beidem (wie beim Ponderosa, einer Cuvée aus Spät- und Grauburgunder) oder eine klassische Maischestandzeit (wie beim Riesling) mit anschließender Pressung und spontaner Mostvergärung – dieses Repertoire wird ebenso in voller Breite genutzt wie die Möglichkeit, die Trauben für den weiteren Ausbau komplett, zum Teil oder gar nicht von ihrem Stielgerüst zu befreien.

„Die Herkunft der Weine soll schmeckbar sein. Ein frischer, leichter und mineralischer Weintyp spiegelt für mich unsere Böden und die vergleichsweise kühle Weinregion wieder.“


Flexibel in der Ausbaumethode, fest in der Zielsetzung: Um die Stabilität ihres ohne Schwefeldosage gefüllten Naturweins sicherzustellen, lässt Christine Pieroth nur penibel selektiertes Lesegut in die Traubenpresse. Den Weinen wird zudem viel Zeit zur Fassreife und natürlichen Klärung eingeräumt, und alle Weine - auch der Riesling - durchlaufen eine natürliche malolaktische Gärung, was „zur späteren Stabilität der Weine in der Flasche beiträgt“, so die Winzerin. Ein weiteres verbindendes Element ihrer Weine ist die stilistische Ausrichtung: Alle PIRI-Naturweine bringen ein gehöriges Maß an Frische und Leichtigkeit mit, ohne es an Struktur und Dichte vermissen zu lassen. „Die Säurestruktur halte ich immer im Blick, sie ist für mich ausgesprochen wichtig“, so die 31-Jährige. Warum? Ganz im Sinne des Terroir-Gedankens möchte sie in ihren Weinen die natürlichen Gegebenheiten und den Ort, an dem die Trauben gewachsen sind, sprechen lassen. „In meinen Weinen soll die Herkunft der Weine zu schmecken sein. Die Nahe steht für mich für einen mineralischen und schlankeren Typ, und das spiegelt sich in der etwas strammere Säure und Struktur meiner Naturweine wider.“ Um die Mineralität und Frische nicht zu übertönen, achtet die Nahewinzerin zudem darauf, die Alkoholgehalte nicht „zu fett“ ausfallen zu lassen. Stattdessen holt die Naturweinwinzerin über Stellschrauben wie Maischestandzeit und Maischegärung sowie ein ausgefeiltes Rappen- und Tannin-Management Mundgefühl und Struktur in ihre.

Wein gemacht mit: Trauben, Zeit und Liebe

Ingredients: Grapes, Time & Love


Ihre Stillweine legt Christine Pieroth am liebsten ins Holz, den Bestand an alten Stückfässern hat sie in jüngster Zeit deutlich aufgestockt. Im Fass dürfen die Naturweine dann „ganz nach den eigenen Bedürfnissen und in aller Ruhe“ auf der vollen Gärungshefe und ohne weitere Beeinflussung von außen heranreifen. „Die meisten der üblichen Behandlungen im Keller zielen doch darauf ab, dem Wein alle Ecken und Kanten zu nehmen, um ihn schnell trinkreif zu machen. Ich hingegen kann warten . . . und ich mag Ecken und Kanten!“, so die Rümmelsheimerin, für die das Erzeugen von Naturwein im Detail viel zeitintensive Handarbeit bedeutet, im Grundprinzipien aber einfach ist. Was es dafür braucht? Zuallererst: Gesundes Traubenmaterial aus ökologisch oder biodynamisch bewirtschafteten Weinbergen, an dem im Keller möglichst nicht „herumgedoktert“ wird. Zweitens: Viel Zeit für die Weinwerdung und Reife. Und drittens aber nicht zuletzt: Viel Hingabe und Leidenschaft der Winzerin oder des Winzers. Wie passend ist da die ergänzende Auflistung der „Inhaltsstoffe“, der auf einigen Flaschenrückenetiketten von PIRI Naturel aufgedruckt ist: „ingredients: grapes, time and love“


Pet-Nat Perlweine von Piri Naturel Wein


Die Andersartigkeit von Naturweinen ist bei Weintrinkern immer noch und immer wieder für überraschte Reaktion gut. Ja, sie sind anders: Häufig leicht trüb in der Farbe, im Geruch geprägt vom Hefeduft und laktischen, nach Joghurt riechenden Noten, im Geschmack fruchtig-hefig wie ein Federweißer oder auch deutlich karger, mit weniger Frucht, mehr Kräutrigkeit, milchig-sahnige Nuancen, einem intensiveren Gerbstoffgerüst und (auch bei den Weiß- und Schaumweinen) durchweg „knochentrocken“ ausgebaut – also deutlich trockener, als es die meisten Weintrinker gewohnt sind. „Naturals“ ecken an – und sie sind gerade deshalb eine Bereicherung in der Welt der Weine. Aus dem überrascht-verdatterten „Ui, ui, ui!“, mit dem Christines Vater 2020 ihren ersten Naturwein kommentierte, ist inzwischen definitiv ein höchst anerkennendes „Ui, ui, ui!“ geworden. „Als meine Eltern mitbekommen haben, dass PIRI Naturel-Wein jetzt auch nach Paris geschickt wird, um dort in französischen Restaurants ausgeschenkt zu werden, war das bei ihnen ein echter Aha-Moment“, erinnert sich die 31-Jährige. Was bei anderen Weingütern Jahrzehnte dauert, hat bei „Piri“ in noch nicht einmal drei Jahren geklappt: Ihre Naturweine sind nicht nur in etlichen Weinhandlungen, sondern auch in erstklassigen Restaurants angekommen, und das weltweit. Das ist besonders und belegt: Anders kommt an!


RANDNOTIZ


Piri-Projekt: Agroforst-Weinberg - zukunftsfähige Weingärten

Bei der Anlage und Pflege der Rebflächen spielen für Naturweinwinzerin Christine Pieroth neben biologischen und biodynamischen Aspekten auch Strukturen der Kreislaufwirtschaft sowie das landwirtschaftliche Gestaltungssystem der Permakultur eine besondere Rolle. Letzteres zielt darauf ab, Monokulturen auf landwirtschaftlich genutzten Flächen zu vermeiden. Ziel ist hingegen eine nachhaltige Kultur, die einem natürlich entstandenen Ökosystem und dessen Kreisläufen ähnelt und pflanzliches und tierisches Leben in all seinen Formen ermöglicht und fördert. Genau zu diesem Ansatz passt ein neues Projekt von Christine Pieroth. Unterstützt vom „Triebwerk“-Team (www.triebwerk-landwirtschaft.de), das unter anderem individuell angepasste Planungen für Agroforstwirtschaft-Systeme erstellt, ließ die 31-Jährige Anfang 2023 bei der Neuanlage einer Rebfläche der Weinlage „Johannisberg“ Gehölze unterschiedlicher Art und Wuchshöhe neben und auch zwischen die Jungreben setzen. Die Weinbau-Nutzpflanzen teilen sich die knapp unter einem Hektar großen Fläche nun mit Spitzahorn, Birke und Erle, Kern- und Steinobstbäumen mit Wuchshöhen von vier bis zehn Metern (Birne, Apfel, Marille und Mirabelle), Heckenpflanzen, Weiden und Sträuchern. 

„Ich möchte zukunftsfähige Weinberge schaffen, die auch unter widrigen Bedingungen stabiler sind und weniger Intervention durch den Menschen brauchen.“

Das Ziel: Die Agroforst-Fläche soll nicht nur verschiedenen Pflanzen, Insekten und Kleintieren einen im Vergleich zur Monokultur besseren Lebensraum bieten, sondern auch die Weinkultur widerstandsfähiger gegen die Herausforderungen des Klimawandels machen. „Die schnell wachsenden Gehölze und Bäume werden den anderen Nutzpflanzen Schatten spenden“, erläutert Christine Pieroth. „Die Bäume halten zudem langfristig mehr Feuchtigkeit in der Fläche und tragen zu einem kühleren Mikroklima bei.“ Weitere Pluspunkte, die der Agroforst-Weinberg erzielen soll: Der dortige Boden soll Wasser gut aufnehmen, aber nicht so schnell verlieren. „Zudem profitiert der Boden vom natürlichen Zerfall des Pflanzenmaterials, er bleibt also auch ohne Düngen nährstoffreich“, so die Winzerin, die darauf baut, dass Agroforst-Weinberg nach abgeschlossener Wachstumsphase besser gegen Dürre, Überschwemmungen und Schädlingsbefall gewappnet sein wird. Wie bei der Arbeit im Keller hat der „Low Intervention“-Ansatz für Christine Pieroth also auch bei der Arbeit im Weinberg Gewicht: „Ich möchte zukunftsfähige Weinberge schaffen, die auch unter widrigen Bedingungen stabiler sind und weniger Intervention durch den Menschen brauchen.“

Piri Naturel Naturwein Winzerin Christine Pieroth von der Nahe

 
Tipp: PIRI Naturel bietet in kürze auch die Möglichkeit an, Baumpatenschaften zu übernehmen und an Baumpflanzaktionen teilzunehmen. Wer sich dafür interessiert, erhält Informationen dazu direkt bei Christine Pieroth via E-Mail info@piriwein.de.


Historie: "Piris" Weg über Kanada zurück nach Rümmelsheim

Kurz bevor die Nahe bei Bingen in den Rhein mündet, fließt der in den Hängen des östlichen Hunsrücks entspringende Trollbach in den für die Weinbauregion namensgebende Fluss. Hier im wildromantischen Trollbachtal ist in Rümmelsheim-Burg Layen seit mehr als 230 Jahren der Weinheimer Hof von Familie Pieroth beheimatet. 1781 gegründet, widmet sich die Familie seit den 1960er Jahren voll und ganz dem Weinbau. Stück für Stück vergrößert Ulrich Pieroth das Weingut durch den Ankauf von Rebflächen unter anderem in Top-Lagen wie Dorsheimer Goldloch, Pittermännchen und Burgberg, Burg Layer Schlossberg und Rümmelsheimer Steinköpfchen von fünf auf rund 14 Hektar. 2020 kamen ergänzend zur klassischen Weinheimer Hof-Weinlinie die PIRI-Weine dazu.

Dass Christine Pieroth einmal den Weg einer Naturweinwinzerin einschlägt, stand für nach der Schulzeit zunächst gar nicht auf dem Plan der Naheländerin. „Erst einmal die Welt sehen“ lautet stattdessen das Ziel. Mit One-Way-Ticket und Arbeitsvisum im Gepäck fliegt sie nach Kanada, lässt sich dort „von der gewaltigen Natur“ beeindrucken, reist herum und arbeitet hier und da. Auf Vancouver Island macht sie sich mit biologischer Landwirtschaft vertraut, doch dann landet sie (doch wieder) im Weinbau. Als Helferin unterstützt sie ein kanadisches Weingut im Süden von British Columbia - im Rückblick eine glückliche Fügung, denn „in der Ferne habe ich gemerkt, was wir zu Hause im Trollbachtal alles Wertvolles haben.“

„Winzerin sein, das ist doch nicht nur ein Job. Für mich ist das eine Herzblut-Arbeit, hinter der ich mit meiner ganzen Person stehe.“
 

Zurück in Deutschland absolviert Christine eine Winzerlehre in den Gütern Keller (Rheinhessen) und Dr. Crusius (Nahe). Bei Praktika in Frankreich und Österreich sammelt sie weitere Weinbau-Erfahrungen, 2018 hält sie das Abschlusszeugnis für ihr Weinbaustudium in den Händen. Bereits im Vorjahr baut sie im elterlichen Gut einige Weine eigenständig aus, 2018 überlässt ihr der Vater für weitere Weine weitestgehend freie Hand und 2019 übernimmt die Jungwinzerin den Weinausbau komplett. Parallel kümmert sie sich zudem eigenständig um die Bewirtschaftung der Rebflächen des Gutes. PIRI Naturel legte im Jahr 2020 mit 4000 Flaschen Wein los, heute kann Christine Pieroth fast die Hälfte der 14 Hektar Rebfläche des Weinheimer Hofs für ihre Naturweine nutzen – Tendenz steigend.

Piri Naturel Naturwein


Alle Fotos: Moderne Topfologie | Kai Brückner


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